Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
es war sinnlos. Seine Schreie hallten noch gellend, als sie ihn schon die Treppe hinunter ins Innere des Palastes gezerrt hatten.
»Ich muss sofort nach Rom zurückkehren, Konstantin«, sagte Rufus alarmiert. »Jeder Tag, jede Stunde, die ich noch länger fort bin, kann zu einer Katastrophe führen. Ich werde Euch die leichte Infanterie unter dem Kommando von General Victor hierlassen, damit Ihr die römische Herrschaft in Eurer neu gewonnenen Provinz festigen könnt. Ich selber werde mit General Aventinius so bald wie möglich nach Caesarea Maritima aufbrechen. Die Flotte sollte dort liegen, ich werde die schweren Truppen sammeln und mit ihnen nach Italien fahren.«
»Ich gebe Euch eine Eskorte von hundert Chasaren mit«, meinte Konstantin. »Mit ihrem Schutz und Gottes Hilfe werdet ihr Euer Ziel sicher erreichen, Rufus.«
»Ich danke Euch. Ich bete nur, dass es noch nicht zu spät ist. Ein zerstörtes Reich ist genug, es muss nicht noch ein weiteres hinzukommen.«
Die beiden Imperatoren wandten sich zum Gehen und verließen das Dach des Palastes. Hinter ihnen stürzte mit gewaltigem, ohrenbetäubendem Lärm die Kuppel des großen Tempels in sich zusammen. Eine mächtige Staubwolke voller umherwirbelnder glühender Funken stieg in den Nachthimmel auf, und Flammen schlugen hoch aus dem hässlich klaffenden Loch, das zurückgeblieben war.
37
Auf der Via Aurelia
Fünfzehn Meilen vor Rom
Die Atmosphäre, in die Andreas und Franklin eingetaucht waren, nachdem sie die Alpenpässe hinter sich gelassen hatten, war geisterhaft. Zwar herrschte in keiner der Städte, die sie durchquerten, noch offener Aufruhr; doch meist wirkten sie wie ausgestorben, die Spuren vorangegangener Unruhen waren überall sichtbar und in der stickig heißen Luft lag schwer der Geruch erkalteter Asche. Fast greifbar war die allgegenwärtige argwöhnische Anspannung, mit der sich Arianer und Nicaeer gegenseitig belauerten. Die irreale Ruhe war labil und konnte jeden Moment kippen.
Die kleineren Orte mit überwiegend rein lateinischer Bevölkerung waren unberührt geblieben von den Ausschreitungen, aber in Städten wie Mediolanum, Placentia oder Pisae, wo oft die Hälfte der Einwohner dem arianischen Glauben angehörte, war jedes öffentliche Leben zum Erliegen gekommen.
Doch mehr noch als diese furchterregenden Zustände beunruhigte es Andreas, nirgendwo auch nur den kleinsten Hinweis darauf zu finden, dass man seine Warnung vor den fränkischen Kriegsplänen ernst genommen oder überhaupt erhalten hatte. Weder waren Hilfstruppen der Föderaten herbeigeholt worden, um die Alpenpässe zu sperren, noch gab es in Norditalien erkennbare Vorbereitungen irgendwelcher Art zur Verteidigung gegen einen einfallenden Feind. Einhards Kalkül schien in jeder Einzelheit aufzugehen. Italien, das Herz des Weströmischen Reiches, war unverteidigt und in sich gespalten, der Weg nach Rom stand weit offen. In diesem Moment hätte Karl nur zuzugreifen brauchen, um zum Herrn des Imperiums zu werden. Warum der König es nicht tat, wusste Andreas nicht, aber er war dankbar, dass die Franken offenbar nicht der Ansicht waren, sich beeilen zu müssen.
»Sieh’s doch positiv«, sagte Franklin, als er und Andreas die Via Aurelia entlang südwärts ritten. »Wenigstens weißt du inzwischen, dass in Rom noch Ruhe herrscht. Deiner Angebeteten ist also nichts passiert.«
Andreas reagierte nicht. Dadurch, dass der Innuetordienst noch halbwegs verlässlich funktionierte, hatte er zwar die Gewissheit erhalten, dass Claudia sich nicht in unmittelbarer Gefahr befand; doch beruhigend war es kaum gewesen, was er über die Zustände in der Hauptstadt des Imperiums erfahren hatte. Ganz abgesehen von seiner Verlobten wusste Andreas viele seiner Verwandten und Freunde in Rom, deren Wohl ihm ebenfalls am Herzen lag. Und über allem schwebte der drohende Einfall der Franken wie ein gewaltiges Damoklesschwert. Vollends unerträglich wurden diese Sorgen durch das ärgerliche Verhalten Franklins, der sich seit Tagen so verhielt, als sei er ein Vergnügungsreisender, der in Aegyptus die historischen Monumente besichtigt. Zwar hatte Andreas durchaus Verständnis dafür, dass bei seinem Begleiter Bauwerke, die er nur als Ruinen oder aus Beschreibungen kannte, eine gewisse Begeisterung auslösten, zumal das Vorankommen nicht darunter litt. Aber angesichts der Situation empfand Andreas dieses Betragen als absolut unpassend. Es war, als ob jemand beim
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