Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
klang ein wenig abwesend, ganz so, als wäre ihm unvermittelt etwas in den Sinn gekommen, über das er nachgrübeln musste.
Die beiden Reiter passierten eine hohe, säulenartige Granitstele, auf der in sauber gemeißelten Buchstaben Rufus VII. als derjenige genannt wurde, der die Via Aurelia im Jahre 1532 ab urbe condita von Grund auf hat erneuern lassen. Und darunter war die verbleibende Wegstrecke zum Forum Romanum mit dreizehn Meilen angegeben.
38
Rom
Auf dem Palatin
Marcellus Sator ging ruhelos im großen Saal des Domus Flavia auf und ab. »Wie kann man denn bloß so unvernünftig sein!«, sagte er kopfschüttelnd.
Am Tisch mit der Mosaikkarte der Welt saß Krista Scorpia und las sorgfältig die Schriftstücke, die zu Stapeln aufgeschichtet vor ihr lagen. Ohne den Blick von dem Dokument abzuwenden, das sie gerade in den Händen hielt, entgegnete sie: »Marcellus, gib dir keine Mühe. Ich bin hier und bleibe hier, ganz gleich, wie du darüber denkst.«
Der Präfekt blieb vor der Kaiserin stehen, beugte sich über den Tisch vor und sagte mit Nachdruck: »Es ist ganz einfach Irrsinn! Jeden Augenblick kann Rom in Flammen aufgehen, und du wärst mittendrin. Zum letzten Mal, du solltest dich besser in die Castra Praetoria begeben.«
Krista legte das Papier auf den Stapel zurück, sah Marcellus eindringlich an. »Und ich sage dir zum letzten Mal, es ist mir egal. Soll ich mich hinter Festungsmauern verkriechen aus Angst vor meinem eigenen Volk? Ich bin die Kaiserin, wenn ich vor dem Pöbel kapituliere, kapituliert das Imperium. Ich bleibe, und damit Schluss!«
Marcellus richtete sich auf. Die Falte zwischen seinen grauen Augenbrauen verriet, dass er mit der Situation alles andere als glücklich war, aber in seiner Stimme überwog die Bewunderung, die er für Kristas Haltung empfand, mochte sie ihm auch noch so unvernünftig erscheinen.
»Allmächtiger, was für ein Starrsinn. Aber es ist deine Entscheidung, und ich werde dich unterstützen, soweit es in meiner Macht steht.«
Er runzelte missbilligend die Stirn, doch er musste sich selber eingestehen, dass er Krista seinen Respekt nicht versagen konnte. Für gewöhnlich schätzte er Mut nicht sehr hoch ein, war diese Eigenschaft bei den meisten Menschen doch nichts anderes als Ausdruck gedankenlosen Leichtsinns, genährt von der Prahlsucht, ineffizient und gefährlich. Wer klug war, hatte es fast nie nötig, mutig zu sein. Aber bei Krista lagen die Dinge völlig anders. Sie hatte recht, es wäre das falsche Zeichen gewesen, hätte sie sich in den Schutz der Festung begeben. Wenn sie aber mitten in der Stadt blieb, ungeachtet der daraus erwachsenden Gefahren, zeigte sie damit allen, dass das Imperium sich nicht vom Brüllen aufgehetzter Massen beeindrucken ließ. Sein Neffe hatte eine Frau geheiratet, die des Ranges einer Imperatrix Romanorum würdig war.
Vom Forum Romanum drang durch die weit geöffneten Fenster Lärm herauf, ein atonaler, wogender Geräuschbrei unzähliger sich überlagernder Stimmen, und er wurde immer lauter. Schon seit den frühen Morgenstunden strömten die aufgebrachten Bewohner Roms dort zusammen und standen sich, in zwei gegnerische Lager gespalten, gegenüber. In den vergangenen Wochen war es der VI. Legion, den wenigen in der Stadt verbliebenen Prätorianern und den vigiles der Polizei möglich gewesen, die Ordnung aufrechtzuerhalten, oder besser gesagt, den Ausbruch des Chaos zu unterdrücken.
Aber nun sah es gefährlicher aus denn je. Rom glich einem gewaltigen Kessel, der bis zum Siedepunkt aufgeheizt war und der jeden Moment überkochen konnte. Überdies waren auch die Soldaten und Ordnungshüter Nicaeer und Arianer. Wenn tatsächlich Ausschreitungen beginnen sollten, wer würde dann dafür garantieren können, dass sie sich nicht auf die Seite ihrer jeweiligen Glaubensbrüder schlügen? Und selbst, falls dies nicht geschehen würde, waren sie in einer hoffnungslosen Lage. Zählte man die noch außerhalb der Stadtmauern lagernden auxiliarii hinzu, waren es nicht mehr als zwölftausend Mann, umgeben von einem nach Hunderttausenden zählenden Mob.
»Länger dürfen diese Zustände nicht andauern«, sagte Marcellus. »In den größeren Städten zwischen Tiber und Rhein herrscht völlige Lähmung. Die Verwaltung kann, wenn überhaupt, nur mit unerträglichen Einschränkungen arbeiten, in den Werkstätten und Manufakturen bleibt die Arbeit liegen, niemand beliefert die Märkte. Der Handel wird bald endgültig
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