Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
die Griechen nicht überraschend traf. Ohne diese Weissagungen hätte das Oströmische Reich ganz sicher einen schweren Stand gehabt und großen Schaden genommen. Nun blieb dem Kaiser kaum eine andere Wahl, als unseren Orden anzuerkennen.«
»Einfach unfassbar!«, war alles, was Franklin herausbrachte. Konzentriert und gefesselt folgte er der Schilderung des Abts. Andreas jedoch wurde zunehmend unruhig. Unter anderen Umständen hätte er möglicherweise für die Geschichte des Spicarianerordens echtes Interesse aufbringen können, doch augenblicklich kreisten seine Gedanken um ganz andere Dinge. Durch das offene Fenster sah er die Sonne immer weiter am Himmel hinabgleiten und fragte sich, wann wohl der Mönch Gallus endlich von seiner Wanderung zurückkommen würde.
Nach gut zwei Stunden erklärte der Abt Franklin gerade, dass zu Zeiten des Heidentums vor Konstantin dem Großen die Zauberei eine geheime Kunst war, die von wenigen eingeweihten Priestern hinter den Mauern streng abgeschirmter Tempel ausgeübt wurde, wohingegen Gallus immer noch nicht eingetroffen war.
»Verzeiht, Ehrwürden«, unterbrach Andreas das Gespräch ungewollt schroff, »aber es dämmert bereits. Kehrt Euer Bruder Gallus immer so spät zum Kloster zurück?«
Albericus blickte auf und meinte überrascht: »Oh, Ihr habt recht. Ich habe gar nicht bemerkt, wie die Zeit verflogen ist … Nein, Gallus hätte schon lange wieder hier sein müssen. Das ist sehr ungewöhnlich.«
Der Abt stand auf, entschuldigte sich und verließ den Raum. Nach einer kurzen Weile kam er zurück, seine in tiefen Falten liegende Stirn sprach Bände. »In der Tat, Gallus ist noch nicht wieder hier. Ich bin sehr in Sorge, darum habe ich Anweisung gegeben, dass die Diener sich sofort auf den Weg machen sollen, um ihn zu suchen. Vielleicht ist er gestürzt und hat sich verletzt oder ihm ist etwas anderes zugestoßen.«
»Ich danke Euch«, sagte Andreas. »Wenn Ihr erlaubt, lasse ich Euch alleine. Ich brauche ein wenig frische Luft.«
Die rauen Höhenzüge der Pyrenäen schienen sich endlos weit zu erstrecken. Das warme Licht der im Westen untergehenden Sonne tauchte die kargen Gipfel von einer Seite in einen rötlichen Schimmer und verlieh ihnen so etwas Märchenhaftes, als seien sie keine wirklichen Berge, sondern der phantastische Schauplatz uralter Sagen. Andreas, der das Szenario von der Mauerkrone aus still betrachtete, musste an die Geschichten denken, die ihm seine langobardische Großmutter immer erzählt hatte, als er noch klein war.
Hier könnte ich mir all das gut vorstellen, kam es ihm in den Sinn. Inmitten dieser verwunschenen Landschaft, vor diesen rot glimmenden Bergkuppen. In einer dieser vielen Schluchten könnte Siegfried den Drachen aufgespürt haben, oder der … wie hieß er nur? Dieser Zwerg mit der Kappe, die ihn unsichtbar werden ließ …
Plötzlich fiel es ihm wieder ein, und er musste sich zusammennehmen, um nicht lauthals zu lachen.
Alberich! Der Zwerg trug denselben Namen wie der ehrwürdige Abt dieses Klosters … ob er sich seines Namensvetters bewusst ist? Ach nein, wie sollte er? Wer kennt schon diese Sagen? Es ist schade, man wird sie vergessen, weil niemand sie der Mühe für wert befunden hat, sie niederzuschreiben.
Er seufzte traurig bei dieser Vorstellung. Nicht dass die haarsträubenden Geschichten um Siegfried und Hagen, Hunnen und Burgunder sich in ihrer Bedeutung je mit den Werken des Horaz oder des Kallimachos hätten messen können. Aber für Andreas verband sich mit jenen Sagen, die wie der Nachhall einer längst versunkenen, geheimnisumwobenen Welt wirkten, die Erinnerung an seine Kindheit.
Er wurde jäh und heftig aus seinen Gedanken gerissen, denn die Diener, die der Abt ausgesandt hatte, um nach Gallus zu suchen, kamen den steilen, gewundenen Pfad hinauf, der zum Kloster führte. Sie riefen und gestikulierten aufgeregt. Andreas ahnte Schlimmes.
Ein Wanderstab aus hartem Zedernholz und ein Dolch mit schlichtem Griff, das war alles, was auf Gallus’ Schicksal hindeutete. Um den Tisch im Studierzimmer, auf dem die beiden Gegenstände lagen, standen Abt Albericus, Andreas und Franklin und hörten Bruder Lucius’ Bericht an. Der für seine Beobachtungsgabe und seinen Scharfsinn bekannte Lehrer für Logik und Philosophie hatte in der wenigen Zeit, die bis zum Einbruch der Nacht verblieben war, den Ort des Fundes in Augenschein genommen und teilte nun mit, was er dort festgestellt hatte.
»Gallus’ Stab und
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