Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
vielleicht war es die einsame Rauheit der steinigen Bergrücken, vielleicht auch die unwirkliche Stille. In jedem Fall fühlte er sich unwohl und konnte es kaum erwarten, diesem seltsamen Gebiet wieder den Rücken zu kehren.
Die Straße führte in einer engen Kurve durch eine kleine Schlucht. Als die beiden Reiter den Ausgang erreichten, bot sich ein eindrucksvolles Panorama. Vor den Höhenzügen, die wie eine phantastische Kulisse den Hintergrund bildeten, erhob sich in der zerklüfteten Landschaft ein besonders herausragender Berg, dessen steil emporragender Gipfel aus hellgrauem Fels flach abgerundet war. Wie er dort lag, erinnerte er an einen riesigen, halb vergrabenen Totenschädel. Ganz oben auf dem Berg war eine Ansammlung großer, ineinander verschachtelter Gebäude erkennbar.
»Wir sind am Ziel«, sagte Andreas und atmete hörbar auf. »Das ist Mons Securus.«
Franklin Vincent zuckte innerlich zusammen. Er kannte diesen Ort; jeder, der ein wenig tiefer gehende Kenntnisse der europäischen Geschichte besaß, hätte diesen Berg sofort erkannt.
Montségur!, dachte Vincent. Das ist doch nicht zu glauben. Wieso ausgerechnet hier? Ist das nun ein unglaublicher Zufall, oder …
Er zwang sich, diesen Gedanken nicht weiterzuverfolgen. Mit Montségur waren schon zu viele abstruse Ideen und Hirngespinste verknüpft, und er wollte diesen Phantastereien kein weiteres Kapitel hinzufügen. Aber er nahm sich fest vor, dem Abt des Klosters einige Fragen zu stellen, auf deren Antworten er schon gespannt war.
Das kaiserliche Siegel auf dem purpurverzierten Schreiben wirkte wahre Wunder. Der kurz zuvor noch recht abweisende Torhüter konnte den beiden Reisenden plötzlich gar nicht rasch genug die mächtigen, grünlich bronzenen Torflügel öffnen, und auch sonst begegnete man ihnen mit größter Freundlichkeit.
Im Grunde lagen zwei Klöster auf dem Gipfel von Mons Securus, je eines für Mönche und Nonnen. Sie waren aber nicht wirklich getrennt voneinander, ein großer Hof mit überdachten Arkaden verband beide Anlagen zu einem einzigen Komplex. Ihre Aufgaben erforderten es, dass die Männer und Frauen des Spicarianerordens miteinander arbeiteten. Der intensive Austausch von Erfahrungen, die häufig nötigen Beratungen und die gemeinsame Ausübung magischer Praktiken hatten Vorrang vor überzogener Auslegung mönchischer Tugenden und totaler Isolierung vom anderen Geschlecht. Es war allgemein bekannt, dass manche magischen Fähigkeiten nur bei Frauen zu finden waren, während andere Männern vorbehalten waren.
Wollte man also die Zauberkunst sinnvoll ausüben, blieb gar nichts anderes übrig als ein enges Zusammenwirken; das drückte sich auch durch die ungewöhnliche Regelung aus, dass das Doppelkloster von Mons Securus abwechselnd einem Abt und einer Äbtissin unterstand.
Während Knechte ihre Pferde in die Ställe brachten, wurden Franklin und Andreas im großen Hof von einer älteren Nonne im schmucklosen weißen Ordensgewand willkommen geheißen. Sie stellte sich als Deoteria, die magistra domi, vor. Andreas überreichte ihr das Schreiben, sie erbrach das Siegel und las sich den Text aufmerksam durch. Der Ostgote konnte deutlich erkennen, wie sich ihre Augenbrauen vor Erstaunen hoben, als sie Krista Scorpias eigenhändigen Namenszug am Schluss des Dokuments erblickte.
Sie faltete das Papier wieder zusammen und gab es Andreas mit den nachdenklichen Worten zurück: »Es muss einen höchst ungewöhnlichen und wichtigen Anlass geben, wenn die Kaiserin selber Euch zu uns schickt. Ja, vermutlich sind die Gründe sogar äußerst beunruhigend.«
»Ihr habt recht«, bestätigte Andreas mit einem Kopfnicken. »Und daher ist es von größter Wichtigkeit, dass wir umgehend mit dem Abt sprechen können.«
»Selbstverständlich. Bitte folgt mir«, antwortete die Nonne und wandte sich in Richtung des zweistöckigen Gebäudes, dessen breite Front aus unverputztem, grauem Stein den weiten Hof beherrschte.
Zwischen den Regalen seines Studierzimmers, die alle Wände bedeckten und deren viele Fächer überquollen vor Büchern und Schriftrollen, empfing Abt Albericus seine Besucher. Nach der Begrüßung nahmen die drei Männer um einen runden Tisch in der Mitte des Raumes Platz und der Abt ging das kaiserliche Schreiben durch.
»Tatsächlich, es ist die Unterschrift der Kaiserin«, sagte er mit unverhohlenem Erstaunen. »Als Schwester Deoteria es mir mitteilte, war ich mir recht sicher, dass sie sich irren müsse.
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