Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
Doch nun, da ich es mit eigenen Augen sehe … was kann so wichtig sein, dass man Euch mit einem solchen Schriftstück zu uns schickt?«
»Ein Anliegen von lebenswichtiger Bedeutung für das Imperium, Ehrwürden«, sagte Andreas. »Wir hoffen, dass wir hier Antworten auf drängende Fragen finden.«
Albericus legte die schmalen, länglichen Hände zusammen und meinte ernst: »Der Orden des heiligen Spicarius ist dem Imperium und ganz besonders dem Kaiserhaus der Scorpii zu ewigem Dank verpflichtet. Sagt mir, was die Kaiserin von uns erwartet, und wir werden alles tun, was in unserer Macht steht.«
»Sehr freundlich«, entgegnete Franklin. »Leider können wir die Details unseres Auftrags ausschließlich mit einer bestimmten Person, die wir hier suchen, besprechen. Bitte versteht das nicht als Beleidigung oder Ausdruck des Misstrauens.«
Der Abt lächelte milde. »Ich bitte Euch, derartige Auflagen sind wir hier auf Mons Securus gewohnt. Vergesst nicht, wir stellen unser Können voll und ganz in den Dienst des Imperiums. Wir erhalten oft streng vertrauliche Informationen, die nur den direkt Beteiligten anvertraut werden, und ich gehöre längst nicht immer zum Kreis der Eingeweihten. Wer ist es, den Ihr sucht?«
»Genau wissen wir es nicht«, antwortete Andreas. »Aber wir glauben, dass sich hier im Kloster ein Spicarianer mit ganz außergewöhnlichen Talenten auf dem Gebiet des Hellsehens befindet.«
Albericus musste nicht einen Moment nachdenken. »Dann meint Ihr zweifellos Bruder Gallus. Von den dreihundert Mönchen und Nonnen von Mons Securus ist er derjenige mit den ungewöhnlichsten, herausragendsten Fähigkeiten. Er beherrscht seltene und schwierige Praktiken der Weissagung, niemand reicht auch nur annähernd an seine Begabung heran. Beispielsweise erhält er ohne jede Meditation verstörende Visionen.«
»Dann war er es wohl auch, der den Traum mit dem tot vom Himmel stürzenden Adler hatte?«, wollte Andreas wissen.
Das Gesicht des Abts zeigte, wie überrascht er war, dass seine Gäste von dieser streng geheimen Botschaft Kenntnis besaßen. »Ja, das ist richtig«, gab er zur Antwort. »Damit begann es. Seitdem wird er fast jede Nacht von rätselhaften, Furcht einflößenden Träumen heimgesucht, denen er keinen Einhalt gebieten kann. Alle diese Visionen sind sich darin ähnlich, dass sie unermessliche Umwälzungen anzukündigen scheinen, für die jeglicher Vergleich fehlt. Doch selbst unsere besten Traumdeuter sind nicht imstande, die Einzelheiten und bizarren Zeichen der Visionen wirklich zu verstehen.«
»Wo finden wir diesen Bruder Gallus?«
»Momentan ist er nicht im Kloster. Die nächtlichen Träume setzen ihm sehr zu, er sucht daher Ruhe und Einkehr bei langen, einsamen Wanderungen. Aber er ist stets am späten Nachmittag wieder hier.«
Andreas war einverstanden, auf die Rückkehr des Mönchs zu warten, und Franklin fügte hinzu: »Ehrwürden, ich stamme aus Britannien und bin erst vor Kurzem – hm – in den Dienst des Imperiums getreten. Daher bin ich mit der Geschichte Eures Ordens und den Grundlagen Eurer Tätigkeit nicht vertraut. Doch ich würde gerne mehr darüber erfahren.«
Albericus war über das Interesse seines Gastes so erfreut, dass er sofort anbot, selber alle Fragen zu beantworten. Franklin nahm dankend an und sogleich begann der Abt zu erzählen.
»Das Fundament unseres Ordens sind die alten Schriften, in denen das magische Wissen unzähliger Generationen aufgezeichnet ist. Einer der vielen Gründe unserer Treue zum Kaiserhaus ist, dass diese Schriften nur durch die Weisheit Rufus’ I. erhalten bleiben konnten. Wie im Oströmischen Reich gab es bei uns ebenfalls Eiferer, die in diesen Büchern nichts weiter sahen als verderbliche Zeugnisse des Heidentums. Seit den Tagen Konstantins des Großen waren bereits eine ganze Menge der Schriften aus den Bibliotheken entfernt und verbrannt worden, und als die heidnischen Kulte verboten wurden, gingen auch die Bücher aus den Archiven der Tempel in Flammen auf. Dennoch war noch manches erhalten, als Rufus I. im Jahre 1230 das Imperium rettete und den Kaiserpurpur errang. Er war ein gläubiger Christ, aber er achtete auch die Traditionen, denen Rom einst seine Stabilität verdankt hatte und die es nun dringender denn je wieder benötigte. Nicht zuletzt, um ein Zeichen zu setzen, ließ er die Vernichtung aller Denkmäler und Schriften aus heidnischer Zeit verbieten. Die Bücher zur Magie erschien ihm jedoch gefährlich, denn
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