Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
kraftlos. »Warum nur? Sagt, was kann ich jetzt noch tun, um meine Seele vor der ewigen Verdammnis zu retten?«
Die hageren Gesichtszüge des Oberkämmerers erschienen noch schärfer geschnitten zu sein als sonst, nie zuvor hatte sein Profil mehr dem eines Adlers geähnelt. »Ihr könnt etwas tun«, antwortete er ruhig. »Und zwar, indem ihr den Wahren Willen doch noch verwirklicht.«
»Aber wie, Einhard, wie? Die Römer sind auf dem Weg hierher, sie werden Trevera einnehmen, mich als Gefangenen nach Rom bringen. Mir bleibt keine Zeit mehr, alles ist aus.«
»Das ist es gewiss nicht. Ich habe den Mann gefunden, den wir benötigen. Seine Aufgabe ist schwer, und was wir an Informationen brauchen, kann er selbst unter größten Anstrengungen nur stückweise zutage fördern. Doch in weniger als zwei Wochen wird es soweit sein. Dann werden wir wissen, wie wir in den Ablauf der Geschichte eingreifen müssen, um dem Wahren Willen des Herrn zum Triumph zu verhelfen.«
»Zwei Wochen«, sagte Karl heiser, als spräche er zu sich selbst. »Zwei Wochen zwischen mir und dem Höllenfeuer.«
53
Vor Trevera
Kaum etwas war übrig geblieben von den Resten der fränkischen Armee, nachdem sie auf der Flucht in Richtung Alpen bei Mediolanum auf das bulgarische Reiterheer gestoßen waren. Wer von den Franken nicht den langen Säbeln der Bulgaren zum Opfer fiel, musste den Marsch in die Gefangenschaft antreten. Viele waren es nicht.
Dann hatte die römische Armee die Alpen überquert, ungeachtet des kalten, unfreundlichen Wetters. Nachdem man die Grenze zum Frankenreich bei Augusta Raurica überschritten hatte, wurde in zwei Gefechten bei Argentorate und Borbetomagus das letzte Aufgebot Karls, eilig bewaffnete Bauern und ungeübte, frisch ausgehobene und zahlenmäßig hoffnungslos unterlegene Fußtruppen, mühelos hinweggefegt. Die schwachen Garnisonen der fränkischen Festungen entlang des Rheins ergaben sich ohne Gegenwehr, wie auch die Städte dem übermächtigen Feind ihre Tore öffneten.
An einem unangenehm kühlen, feucht-grauen Oktobertag stand die römische Vorhut schließlich vor Trevera. Zwischen dem noch dichten Laubwerk der Obstbäume im Moseltal, die in allen Spielarten von Rot und Gelb leuchteten, wurden die Mauern der fränkischen Hauptstadt sichtbar.
General Marcus Aventinius, der gemeinsam mit Rufus Scorpio an der Spitze der kleinen Abteilung ostgotischer Kavallerie ritt, riet dem Kaiser zur Vorsicht.
»Wir sollten warten, bis das Hauptheer eintrifft, ehe wir uns in die Stadt begeben, Imperator. Es mag sein, dass Karl keine nennenswerte Streitmacht mehr aufbieten kann – doch er könnte versuchen, Euch in einen Hinterhalt zu locken.«
Rufus war jedoch anderer Ansicht. »Nein, das geht nicht. Eile ist geboten, wir müssen so schnell wie möglich Karl oder Einhard ergreifen. Ich habe Verpflichtungen besonderer Art, die zu erklären sehr kompliziert wäre. Lasst Franklin Vincent und Andreas Sigurdius mitteilen, dass wir ohne Verzögerung in die Stadt einziehen werden.«
Nur unwesentlich weiter hinten in der Kolonne ritten Andreas und Franklin, die das Ende ihrer Reise näher rücken sahen. Dennoch war der Ostgote sehr besorgt.
»Sollten wir nicht besser gleich nach Aachen gehen?«, fragte er unruhig. »Immerhin sind dort die Zeitmaschine und dein Kamerad. Wäre es da nicht logisch, dass Einhard dort auch Gallus gefangen hält?«
Franklin zuckte mit den Schultern. »Wo wir jetzt schon einmal hier sind … abgesehen davon wissen wir ja gar nicht, ob der Mönch wirklich in Einhards Gewalt ist, wir vermuten es nur. Außerdem stehen die Chancen gar nicht schlecht, dass wir im Palast jemanden in die Finger kriegen, der Bescheid weiß.«
In diesem Augenblick brach das schmutzige Grau der Wolken auf, ein Streifen leuchtend blauen Himmels kam zu Vorschein und zum ersten Mal seit Tagen tauchte die Herbstsonne die bunten Baumkronen in ihr weiches Licht.
»Sieh nur«, meinte Andreas erfreut, »ein gutes Zeichen.«
»Da dürfte Karl anderer Meinung sein«, entgegnete Franklin und lachte kurz, aber laut auf.
54
Außerhalb Treveras
In der Villa des römischen Gesandten
Durch einen schmalen Spalt in den Vorhängen fiel ein Sonnenstrahl durch das Fenster, durchdrang den düsteren Raum und traf schließlich auf eine kleine Truhe. Ihre filigranen Einlegearbeiten aus kunstvoll geschliffenem Bernstein leuchteten im warmen Licht honigfarben auf, als seien sie plötzlich mit
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