Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
trafen.
Sie verschwanden aus Andreas’ Blickfeld, und er starrte fassungslos auf die lodernde Kirche. Er war nie besonders religiös gewesen; mit einem Arianer als Vater und einer Nicaeerin als Mutter hatte Religion zu Hause nie eine große Rolle gespielt, wenn er auch arianisch getauft war. Doch was er jetzt erleben musste, trieb ihm Tränen der Wut in die Augen. Nicht, weil es eine arianische Kirche war, die dort brannte, sondern dass überhaupt ein Gotteshaus in Flammen stand und Menschen wegen ihres Glaubens leiden mussten. Zuvor hatte er stets in der Gewissheit gelebt, die Zeiten, in denen solche Untaten möglich waren, gehörten einer fernen Vergangenheit an. Und nun stand er hier in Trevera und spürte, wie sein Weltbild mit jedem Balken, der brennend in die Tiefe stürzte, mehr zerbrach.
Eine grobe Hand umfasste seinen Arm, und er zuckte zusammen. Eine Gruppe Franken mit rohen, aufgeheizten Gesichtszügen starrte ihn feindselig an. »Du! Du siehst aus wie’n Römer! Biste am Ende auch einer von den verdammten Christusleugnern?«
Andreas fühlte, wie sich sein Hals zuschnürte. Wenn sie herausbekamen, dass er Arianer war, würde sein Leben keinen Denarius mehr wert sein. Hastig entgegnete er: »Wie könnt ihr es wagen! Ich bin ein … treuer Gläubiger der wahren Nicaeischen Kirche!«
Zur Bekräftigung schlug er ungeschickt ein Kreuz und sprach ein in nomine patris et fili et spiritus sancti. Die Franken gaben sich damit zufrieden, Andreas’ Arm wurde wieder losgelassen. Sie wiederholten das Kreuzzeichen, murmelten ein amen und zogen ab, um weiter zu wüten.
Andreas atmete auf. Seine Handlungsweise mochte nicht unbedingt mutig gewesen sein, aber er hatte nicht den Ehrgeiz, als arianischer Märtyrer zu enden. Überdies war er sich des Unterschieds zwischen Festigkeit im Glauben und purer Dummheit sehr wohl bewusst. Er wollte gerade wieder auf sein Pferd steigen, um diesen ekelerregenden Ort zu verlassen, da hörte er hinter sich jemanden auf Latein sagen: »Ihr solltet besser dies hier tragen.«
Andreas drehte sich um. Vor ihm stand ein Mann mittleren Alters mit üppigem, dunklem Bart und spärlichem Haupthaar, weder groß noch kräftig von Gestalt. Er gehörte eindeutig nicht zum übrigen Pöbel, denn sein Gesicht war ruhig, seine Augen strahlten Weisheit aus. Überdies trug er eine Tunika mit engen Hosen und einen Mantel nach römischer Art.
Der Fremde hielt Andreas eine Kette mit einem kleinen Messingkreuz als Anhänger entgegen. »Ich hatte es eigentlich für meine geschätzte Cousine erworben, aber ich denke, Ihr braucht es momentan weit dringender. Ihr seid an Eurer Kleidung so eindeutig als Römer zu erkennen, wie Euch Größe und Haarfarbe sofort als Goten verraten. Dass Ihr Arianer seid, steht Euch somit fast ins Gesicht geschrieben, und es ist fraglich, ob sich alle Leute so einfach täuschen lassen wie diese Grobiane eben.«
Einen Moment zögerte Andreas. Dann ergriff er das Kreuz, das zu tragen ihm unter diesen Umständen vertretbar erschien, und hängte es sich um den Hals. »Ich danke Euch. Wer seid Ihr, dass Euch mein Wohlergehen so am Herzen liegt?«
»Das will ich Euch gerne sagen«, antwortete der Fremde, »aber wir wollen uns zunächst von hier entfernen. Diese Umgebung gefällt mir nicht. Kommt.«
Gemeinsam ließen sie das brennende Gotteshaus und den lautstark randalieren Mob hinter sich und gingen durch die Seitenstraßen. Andreas führte das Pferd am Zügel hinter sich her und hörte dem Fremden zu.
»Mein Volk weiß, was Verfolgung des Glaubens wegen heißt. Ich bin ein Jude.«
Andreas verstand nun in der Tat besser, was den Unbekannten bewegt haben mochte. Die Juden hatten über Jahrhunderte das Joch von Verfolgung und Unterdrückung tragen müssen. Unter den heidnischen Imperatoren, weil sie sich weigerten, den Kaiser als Gott zu verehren, und ihre Standhaftigkeit mit ihrem Blut bezahlen mussten. Unter den christlichen Caesaren, weil die Nicaeische Kirche sie zu Christusmördern erklärt hatte, die es ohne Unterschied zu bestrafen galt. Unter den oströmischen Kaisern, weil diese Einheit im Glauben für ihr Reich verlangten und die Juden ihnen dabei ein Dorn im Auge waren. Selbst im Weströmischen Reich, das musste Andreas Sigurdius sich traurig eingestehen, waren Juden immer wieder Verleumdungen und Nachstellungen ausgesetzt. Das Gesetz Roms schützte sie, aber die christlichen Priester wurden dennoch nicht müde, ihren Gemeinden die angebliche Schuld der Juden immer
Weitere Kostenlose Bücher