Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
und Furcht durchströmte Andreas, als plötzlich eine Unzahl gleichzeitig einsetzender, sich überlagernde Geräusche die Stille zerfetzte. Er verstand nichts, zu viele Klänge drängten sich in der Unendlichkeit.
Aber dann vernahm er Bruchstücke von Worten, von Musik. Und nun begannen sich Bilder aus der Dunkelheit herauszulösen, sie bewegten sich im Nichts, und viele von ihnen verschwanden, ehe Andreas sie wahrzunehmen imstande war. Dann aber hörte er Laute, die er kannte. Ein langsamer Singsang wie aus weiter Ferne legte sich über die anderen Geräusche und formte die Worte domine dirige nos. Unvermittelt blitzte vor Andreas ein Bild auf, und er spürte, dass es zu dem Gesang gehörte. Da saßen Männer, Geistliche. Ihre Tracht war von derjenigen der Nicaeer verschieden, aber doch ähnlich. Und dann konnte er erkennen, dass vor ihnen ein großes Feuer brannte, in dessen Mitte ein Mann an einen Pfahl gebunden war. Sein gellendes Schreien, das Schmerzen und Todesangst in sich trug, übertönte den Chorgesang. Die hohen Geistlichen betrachteten den Feuertod des Mannes teils mit unbewegten Mienen, teils mit unverhohlenem Triumph in ihren Gesichtern.
Andreas wollte entsetzt die Augen schließen angesichts dieser bestialischen Szene, aber er konnte es nicht. Stattdessen musste er miterleben, wie sich das Bild mit dem Leiserwerden der Klänge langsam auflöste und in ein neues überging. Noch ehe es sich vollends aus den fließenden Formen herausgelöst hatte, waren Geräusche zu hören. Ein dröhnendes, gleichmäßiges Stampfen erfüllte die Endlosigkeit. Dann erschienen Menschen. Endlose Reihen marschierten an Andreas vorüber, gleichförmige Gestalten in schwarzen Gewändern, auf den Köpfen glatte, schwarz glänzende Helme. Mit ihnen marschierten Standartenträger, sie hielten Feldzeichen nach römischer Art. Aber auf dem roten Stoff sah er nicht die Namen von Kohorten, sondern einen weißen Kreis, in dessen Mitte sich ein schwarzes Kreuz von seltsamer Form befand. Andreas fühlte Angst vor diesen schwarzen Legionen der Finsternis; er wusste nicht warum, er wollte fortlaufen.
Der Strom der Soldaten schien nicht enden zu wollen, und jetzt marschierten sie an ihrem Feldherrn vorbei. Er stand erhöht, hielt den Arm wie zur Verhöhnung des römischen Grußes ausgestreckt empor. Andreas sah sein Gesicht und war entsetzt angesichts der banalen Niedrigkeit der Züge dieses Heerführers, seinen leblos glänzenden Augen voll kalter Verachtung, seinem gefährlich lächerlichen schwarzen Schnurrbart. Über ihm hing der goldene Adler des Imperiums mit ausgebreiteten Schwingen, in den Fängen einen Blätterkranz mit dem bizarren Kreuz, das wohl das Wappen des Feldherrn war. Andreas wusste instinktiv, dass dieses Kreuz nichts Christliches in sich trug, und empfand beim Anblick des so schändlich missbrauchten Adlers Roms hilflosen Zorn.
Das Bild und das Stampfen verschwanden. Nun kehrte fast völlige Stille ein, bis auf ein fernes Pfeifen, als ob ein rauer Wind über eine weite Ebene strich. Aus der Dunkelheit trat ein hölzerner Turm hervor. Er stand inmitten einer endlosen Landschaft, tot und verschneit, erdrückt von einem fahlgrauen Himmel. Unterhalb des Turms wurden Gefangene durch ein Tor getrieben. Mit schlurfenden Schritten quälten sie sich durch den Schnee. Ihre Gesichter waren eingefallen, die Augen glanzlos. Ihre Kleidung war zerschlissen, viele von ihnen trugen nicht einmal Lumpen um die zerfrorenen Füße, aber schwere Ketten, die sie über den eisigen Boden schleiften. Ihre Bewacher trieben sie mit Knüppelschlägen vorwärts. Eine der Elendsgestalten war zu schwach, fiel in den Schnee. Ein Bewacher kam heran, schrie in einer barbarischen Sprache, prügelte hemmungslos auf den Wehrlosen ein. Dann holte er zu einem kräftigen Schlag aus, ließ den Knüppel niederfahren. Blut spritzte über die weiße Decke des Bodens. Immer noch fluchend, ließ er sein Opfer liegen und ging durch das Tor, über dem ein fünfzackiger roter Stern angebracht war.
Andreas spürte Panik in sich aufsteigen. Was war das alles? Warum musste er diese Dinge sehen? Er wollte fort von diesen grauenerregenden Bildern, nur fort.
Als wäre seine Verzweiflung vernommen worden, konnte er nun fühlen, wie das schwarze Nichts ihn loszulassen begann. Aber noch im Verblassen offenbarte sich ihm ein furchtbares Bild: Kinder liefen ihm entgegen. Nackte, weinende Kinder mit verbrannter Haut, die in Fetzen von rohem Fleisch hing, mit
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