Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
voranzutreiben, sonst würde das fehlende Glied, von dessen Existenz er nach wie vor überzeugt war, nie gefunden werden. Er vollführte eine tiefe Verbeugung vor dem König und verließ den Raum. Karl und Wibodus blieben alleine zurück.
Der König sah seinem General forschend ins Gesicht. »Ihr seid mit meiner Entscheidung nicht einverstanden. Ihr braucht es nicht abstreiten, ich sehe es Euch an. Ihr fragt Euch, wieso ich Einhard den ersten Plan weiterhin verfolgen lasse, nicht?«
»Majestät, der Gedanke kam mir in der Tat.«
Der König erhob sich mit vielsagendem Lächeln aus seinem Sessel, richtete sich zu voller Größe auf und trat zu Wibodus, den er weit überragte, an die Wandkarte. »Ich weiß, Ihr hasst ihn. Er hat Euch stets von oben herab behandelt, und Ihr wollt es ihm heimzahlen. Aber unterschätzt Einhard nicht. Er ist ein ungemein kluger Mann, und ich habe ihm viel zu verdanken. Nicht nur, dass er in den vergangenen zehn Jahren Großes für mein Reich geleistet hat; ohne ihn hätte ich auch nie erfahren, welcher Platz in der Geschichte mir nach Gottes Willen für mich vorgesehen war … und dass er mir entrissen wurde, ohne dass ich es auch nur wusste.«
Er ließ die Finger langsam über die auf die Oberfläche des sanft rauen Putzes gemalten Flüsse und Wälder der Landkarte gleiten, ohne seine Rede zu unterbrechen.
»Gewiss, er hat sich in sein Hirngespinst verrannt. Aber er hat ja auch auf Euer Betreiben hin den zweiten Plan entwickelt, und niemand sonst hätte diese schwere Aufgabe mit solcher Brillanz erledigen können. Ihm ist es zu verdanken, dass die Legionen irgendwo im Osten in den Untergang marschieren. Ohne ihn würden Eure Soldaten in tausend Jahren Rom nicht sehen. Und denkt nur an die Dinge, die er in Aachen vollbringt.«
Gehorsam, wenn auch widerwillig, pflichtete Wibodus seinem Herrscher bei, gab aber zu bedenken: »Ich muss Euch aber daran erinnern, dass ich die dragonarii brauche, wenn es so weit ist. Einhard hält sie zurück, wie er es mit der ganzen Scara macht. Er weiß genau, dass ich ohne diese Elitetruppen keinen Feldzug durchführen kann. Darum muss ich Euch bitten, Majestät, zu gegebener Zeit Einhard das Kommando über die Scara zu entziehen und mir zu übertragen.«
Karl zeigte sich von diesem Ansinnen nicht im Mindesten überrascht. »Das hatte ich ohnehin vor. Die Scara war bei Einhard gut aufgehoben, solange es darum ging, Aachen vor neugierigen Augen zu schützen und die neuen Einheiten zu formen. Aber in Kriegszeiten brauchen Soldaten keinen Mönch, sondern einen General, der sie zum Sieg führt!«
Seine Hand lag auf der stilisierten Stadtansicht mit dem darüber schwebenden goldenen Adler, die Rom darstellte, und es schien fast, als würden Karls Finger sich greifend um die Stadt legen.
8
Im Thema Phoenice
Nördlich von Berytus
Es roch nach Tod. Tausende von Leichen bedeckten die Ebene, und die am wolkenlos blauen Nachmittagshimmel stehende Sonne tauchte sie in grelles, hartes Licht. Hitze ließ die Luft flimmern und die Konturen verschwimmen. Es regte sich kein Windhauch, der den schal stechenden Geruch der Toten hätte vertreiben können.
Am Morgen hatte hier das Aufgebot des Themas Phoenice die Vorhut des persischen Heeres aufzuhalten versucht. Zehntausend Oströmer waren hier aufmarschiert, unter ihnen nur wenige reguläre Einheiten, denn im ganzen Imperium Orientalis waren schon vor Monaten Truppen von ihren Standorten abberufen worden, um das Feldheer in Armenien zu verstärken. Die meisten, die sich in der Frühe den Persern entgegengestellt hatten, waren hastig versammelte, wehrpflichtige Bauern der Themeninfanterie, Angehörige der städtischen Milizen von Tripolis, Byblos und Berytus oder Freiwillige. Sie waren von den persischen Eisenmännern, der von Kopf bis Fuß in Kettenhemden gekleideten schweren Kavallerie, niedergeritten worden, ohne eine Gelegenheit zur Gegenwehr zu haben. Wer nicht von den Hufen der Pferde zertrampelt wurde, fiel den Pfeilen der Bogenschützen zum Opfer. Als die Hauptmacht des persischen Heeres eintraf, existierte die oströmische Armee bereits nicht mehr.
General Meh-Adhar ritt über das Schlachtfeld, strich sich missmutig über den kurzen, in Locken gelegten schwarzen Bart. Der Anblick so vieler toter Gegner bereitete ihm kein Gefühl des Triumphs, geschweige denn der Genugtuung. Die wahre Feldherrenkunst bestand in seinen Augen darin, den Feind auszumanövrieren, ihn in eine Lage zu
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