Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
tauchte wieder in Andreas’ Blickfeld auf, und jetzt trug er Wams, Mantel und Reitstiefel in den Händen.
Wohin immer er auch so überraschend reiten wollte, Andreas nahm sich vor, ihm zu folgen und ihn diesmal nicht aus den Augen zu verlieren. Seine Müdigkeit war verflogen, schnell lief er zu seinem Zimmer zurück, warf das Rasierzeug aufs Bett und ergriff den Mantel und den Gürtel mit dem Schwert. Dann beeilte er sich, um vor Aethelred beim Stall zu sein.
Er weckte unsanft den auf einem Strohlager schlafenden Stallburschen und ermunterte ihn mit einer Handvoll Kupfermünzen, ihm möglichst geschwind das Pferd zu bringen. Andreas war selbst verblüfft, wie schnell er dem Tier den Sattel umschnallen konnte. Dann stieg er sofort auf und ritt aus dem Hof. Hinter einer Häuserecke wartete er, dass auch Aethelred aus dem Tor geritten kam. Es dauerte eine Weile, und Andreas begann sich zu fragen, ob der Angelsachse ihn bemerkt hatte oder einfach nur nicht in Eile war. Zu seiner Erleichterung stellte sich dann heraus, dass die letztere Vermutung zutreffend zu sein schien. Aethelred erschien auf seinem Pferd mit gefüllten Satteltaschen und schlug den Weg zur Moselbrücke ein, wobei Andreas ihm in angemessenem Abstand folgte.
Wieder ging es über den Fluss und die Hügel auf der anderen Seite der Mosel hinauf. Diesmal behelligten Andreas keine der stinkenden Ochsenwagen, die Straße lag völlig leer im Morgendunst. Er ließ Aethelred einen bequemen Vorsprung, schließlich wusste er ja mit einiger Gewissheit, wo der merkwürdige Fremde die Straße verlassen und auf die Seitenwege wechseln würde. Und tatsächlich erwies sich die Annahme als richtig, auch diesmal wandte sich Aethelred kurz hinter Icorigium ostwärts auf den unbefestigten Pfad, der in die Wildnis führte.
Nun verringerte Andreas den Abstand, und als nach einiger Zeit die Kreuzung näher kam, an der er Aethelred beim letzten Mal aus den Augen verloren hatte, nahm er sich fest vor, diesen Fehler nicht zu wiederholen. Und tatsächlich konnte er diesmal, als er um die Biegung des Hohlwegs kam, gerade noch erkennen, wie der Angelsachse auf dem äußersten rechten Pfad zwischen den Bäumen verschwand. Der Ostgote folgte ihm, und es dauerte nicht sehr lange, bis er auf einen breiteren Weg traf, aus dessen zerfurchter, lehmiger Oberfläche die zerfallenen Überreste römischen Straßenpflasters hervorschauten. Aethelred war nach links geritten, und Andreas tat es ihm gleich. Die alte Straße führte zwischen bewaldeten Hügeln hindurch, an denen immer wieder bizarre Steilwände aus hellem Kalkstein hoch aufragten. Nun tauchte in einer weiten Senke zwischen den baumbestandenen Hügeln ein kleines Dorf auf. Niedrige gelblich braune Hütten mit grauen Schieferdächern drängten sich ängstlich um ein kleines, aus unbehauenen Feldsteinen gemauertes Kirchlein. Als Andreas kurz nach Aethelred die ärmliche Siedlung durchquerte, starrten ihn einige Kinder mit offenen Mündern an, was ihn nicht besonders wunderte, musste seine römische Kleidung ihn doch in ihren Augen äußerst grotesk erscheinen lassen.
Kurz hinter dem Dorf verließ Aethelred den breiten Weg wieder und folgte einem sehr schmalen Pfad, der den bewaldeten Hang hinaufführte. Andreas fühlte, dass das Ziel des Rittes nahe war, und gab sich besondere Mühe, jetzt nichts falsch zu machen. Vorsichtig ließ er sich ein wenig zurückfallen, um nicht unverhofft auf Aethelred zu stoßen. Die Umsicht lohnte sich, denn bald kam er auf eine Lichtung, wo das Pferd des Angelsachsen an einen Baum gebunden stand und ein Büschel Gras zerkaute. Vom Reiter hingegen konnte er nichts sehen. Er schaute sich um. An einem Ende der länglichen, grasbestandenen Lichtung lagen faulende Baumstämme hoch aufgeschichtet. Zur Linken war ein unwegsamer Abhang. Rechts jedoch ragte hinter den Bäumen eine weiße Felswand empor und reflektierte das Licht der Mittagssonne. Sollte er dort hinaufgeklettert sein? Andreas stieg aus dem Sattel, führte das Pferd hinter den hohen Holzstapel, wo er es vor unerwünschten Blicken verborgen festband. Dann versuchte er, eine Spur Aethelreds zu finden. Und zu seinem eigenen Erstaunen hatte er Erfolg: An einer Stelle war das hohe Gras am rechten Rand der Lichtung niedergetreten, Aethelred war also wirklich zum Hang gegangen.
Ich könnte ihm sofort folgen, überlegte Andreas, aber ob das klug wäre? Wer weiß, was mich dort erwartet? Ich warte lieber, bis er wieder zurückkommt und fortreitet,
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