Die Zeitmaschine Karls des Großen (German Edition)
erinnerte sich dunkel, dass Byzantion der Name war, den Konstantinopel vor der Erhebung in den Rang einer Hauptstadt durch Konstantin den Großen getragen hatte; warum sollte Karl das Imperium Orientalis so nennen wollen? Und wieso erstreckte sich das Bulgarenreich auf dieser Karte weit südlich über die Donau hinaus bis beinahe an die Küste des Mare Aegaeum? Wohin war Lombardien verschwunden? Diese Landkarte konnte unmöglich ein Ausdruck von Zukunftsvisionen sein – sie war die Ausgeburt eines kranken Hirns! Nichts, aber auch rein gar nichts von dem, was hier wiedergegeben war, hatte einen Bezug zur Realität.
Und dann las Andreas, was am oberen Kartenrand stand:
The Frankish Empire and Europe in the times of Charlemagne († A. D. 814)
Andreas konnte sich aus den ihm verständlichen Teilen der Überschrift genug zusammenreimen, um zu wissen, dass es um das Frankenreich, Europa und Karl den Großen ging … und das Datum seines Todes. Ein Irrtum war nicht möglich, das Kreuzzeichen vor der Anno-Domini-Jahresangabe war eindeutig. Hatte Karl in seinem Wahnsinn seinen eigenen Tod vorausgeplant?
Er legte die Karte zu den anderen Papieren zurück und wollte gerade das zweite Buch näher betrachten, als ein Geräusch ihn aufschreckte. Ein Schlüssel wurde in das Türschloss gesteckt. Aethelred! Andreas zog sich der Hals zusammen.
Jetzt nicht in Panik geraten! Wenn er seine Magie gegen mich einsetzen kann, bin ich am Arsch! Ich muss mich verstecken. Hinter der Tür, das ist die einzige Möglichkeit. Und dann kann ich ihn von hinten überwältigen, bevor er überhaupt weiß, was los ist. Andreas, denk dran, was dein Vater dir alles beigebracht hat!
Fast im gleichen Augenblick, in dem das Klacken des zurückspringenden Riegels zu vernehmen war, sprang Andreas in die Ecke neben der Tür, gerade bevor sie sich knarrend öffnete.
Er hielt den Atem an und fühlte, dass ihm die Galle aufstieg. Jetzt betrat Aethelred das Zimmer. Der Rücken seines grellroten Wamses füllte Andreas’ Wahrnehmung aus. Einen Pulsschlag später würde er sich umdrehen, um die Tür hinter sich zu schließen. Dies war die einzige Gelegenheit …
Andreas machte einen Satz nach vorne und klammerte seinen rechten Arm um Aethelreds Hals, mit der linken Hand krallte er sich in das rote Wams. Der Angelsachse fuhr überrascht zusammen, Andreas verstärkte den Druck auf den Hals und sagte in einem Tonfall, von dem er hoffte, dass er bedrohlich wirkte und seine Angst nicht durchscheinen ließ: »Wer bist du? Los, sag mir, wer du wirklich bist, oder ich werde …«
Warum wehrt er sich nicht? Warum versucht er nicht, sich zu befreien, meinem Griff zu entkommen? Was kann …
Noch ehe Andreas wusste, was geschah, vollführte Aethelred eine blitzschnelle, kaum wahrnehmbare Bewegung, mit der er sich nicht nur geschmeidig Andreas’ Arm entwand, sondern ihn auch ergriff und den Römer über sich hinwegschleuderte. Andreas spürte, wie er erstarrte, bevor er auf den Steinboden aufprallte. Ihn durchfuhr nach einer endlos kurzen Verzögerung ein unendlich kurzer, unendlich qualvoller Schmerz, der sich durch seinen ganzen Körper brannte.
Dann versank er in bodenloser Schwärze.
Captain Franklin Vincent betrachtete den Mann, der ohnmächtig vor ihm gefesselt auf dem Stuhl saß, und überlegte, mit wem er es wohl zu tun haben mochte. Ein normaler Tourist – falls in dieser verdrehten Welt überhaupt etwas normal genannt werden konnte – war er ganz sicher nicht.
Der Kerl hat mich zweimal auf dem Weg zur Höhle verfolgt. Ein professioneller Spion ist der bestimmt nicht, so ungeschickt wie er sich dabei angestellt hat. Ob er’s beim zweiten Mal geschafft hat? Ich hätte mir die Zeit nehmen sollen, das rauszufinden … ist ja eigentlich auch egal, jetzt habe ich ihn frei Haus geliefert bekommen. Da kann er mir alle Fragen selbst beantworten.
Franklin hätte sich immer noch die Zunge abbeißen können, weil er damals mit seinen voreiligen Äußerungen zur römischen Geschichte den Argwohn dieses Andreas Sigurdius erregt hatte. Aber daran war nun nichts mehr zu ändern. Viel wichtiger war die Frage, wer dieser junge Mann war, der ihm stümperhaft nachspionierte und sogar in sein Zimmer eingedrungen war. Dass in dieser verrückten Welt das Weströmische Reich noch existierte, hatte er inzwischen halbwegs verdaut, also konnte dieser Sigurdius wirklich von dort sein. In seinem Raum hatte Franklin kaum etwas Interessantes finden können, abgesehen
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