Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)
zurückgekehrt …
Diese Möglichkeit will ich mir nicht weiter ausmalen, denn so sehr ich Kay auch liebe, so wenig kann ich den Gedanken ertragen, dass er mit einer anderen Frau glücklich ist, sogar ein Kind erwartet.
Jeremy schiebt den leer gefutterten Teller von sich und springt auf. »Ich geh noch mal in den Wald!«, ruft er.
Mum stellt sich in die Tür.
»Nicht wieder ohne Schuhe, hörst du?«
»Oh Mann!«, höre ich Jeremy maulen, bevor er aus der Küche trabt, um sich die Schuhe zu holen.
Auch Dad erhebt sich. »Ich habe versprochen, dem Jungen einen Holzkäfig zu bauen, sollte er jemals ein Eichhörnchen fangen.«
Mum gähnt, während sie die Teller abräumt. Ich nehme sie ihr aus der Hand und räume sie in den Geschirrspüler. »Leg dich hin, Mum. Ich werde mit Jeremy in den Wald gehen und ihm zeigen, wie man sie fängt.«
Meine Mutter lacht auf. »Du willst ihm zeigen, wie man Eichhörnchen fängt.«
Ich schmunzle. »Leg dich hin. Alles ist gut.«
Mit diesen Worten steht meine Entscheidung fest. Ich werde niemanden von Wum Randy, von Top The Realities erzählen. Nicht so lange es noch nicht ausgestanden ist. Vielleicht in zwei Jahren … Wenn ich dann noch am Leben bin.
Die nächsten Tage verbringe ich mit meinem Bruder im Wald. Er klebt förmlich an mir, hängt wissbegierig an meinen Lippen, wenn ich ihm erkläre, wie man Lebendfallen baut, Feuer mit etwas Zunder, einem Stock und einem Bogen entfacht, eine Schlange packt, ohne gebissen zu werden. Zugegeben, es war nur eine Blindschleiche, die Jeremy stolz mit nach Hause geschleppt hat, bevor Mum sie mit einem Schreikrampf und mit spitzen Fingern am Schwanz gepackt wieder zurücktrug.
Heute Nachmittag hat Dad den großen Holzkäfig fertiggestellt. Eine wunderbare Arbeit, innen mit vielen Stangen und Ästen, kleinen Verstecken und Seilen, an denen sich Scrat und Tinker entlanghangeln, um an die Nüsse zu kommen, die Jeremy ihnen täglich hineinlegt. Ich glaube, die beiden Eichhörnchen sind ein Pärchen.
Erst nach einigen Tagen kann ich mich dazu überwinden, nach Kay zu forschen. Der Computer steht im Arbeitszimmer von Mum und ich verbringe den Abend und die halbe Nacht mit dem Versuch, meinen Scout zu finden. Kay Raymonds finde ich einige und jedes Mal, wenn ich seinen Namen lese, klicke ich mit klopfendem Herzen auf den weiterführenden Link. Aber kein Profil, kein Bild, kein Alter passt auf meinen Kay.
Erst als Mum gegen halb fünf am Morgen von ihrer Schicht nach Hause kommt und erstaunt in ihr Arbeitszimmer blinzelt, schalte ich den Computer aus.
Nach einer Woche haben Jeremy und ich einen Streit. Nichts Wichtiges, nur wegen meines Tagebuchs, dass er zwischen den Schulbüchern hervorgezogen und nach dem Lesen wieder falsch herum hineingesteckt hat.
Jetzt aber sitze ich in meinem Zimmer und grinse. Denn erst nach diesem kleinen Streit fühlt sich mein Leben wieder echt an. Ich ziehe mein Tagebuch erneut hervor, blättere darin, lese Einträge über Carissa, die ein paar Mal angerufen hat, mich dazu gedrängt hat, auf irgendeine Strandparty am letzten Wochenende der Sommerferien zu gehen.
All das kommt mir belanglos vor und ich bin froh, dass Mum Dad überreden konnte, an genau dem Wochenende zu einem Geburtstag eines Verwandten nach Nevada zu fahren. Nur einen Abstecher nach Las Vegas hat Dad entschieden verweigert. Zu wenig Wald, zu viel Wüste für seinen Geschmack.
Die letzten Tage bis zur Schule verbringe ich im Wald, ohne Jeremy. Er muss nicht mitbekommen, wie ich die Axt aus Dads Schuppen unbeholfen durch die Luft schleudere, immer wieder die schlanke Tanne verfehle.
Aber ich übe verbissen und als Mum am Morgen unseres Ausflugs nach Nevada lauthals nach mir ruft, landet die Axt genau in der Mitte des Tannenstamms. Ich ziehe sie heraus, verberge sie in einem hohlen Baum und gehe mit zufriedenem Lächeln zurück zu unserem Haus.
Jedes Mal, wenn ich an dem Apfelbaum vorbeikomme, berühre ich seine Rinde, widme einen kleinen Moment den heranwachsenden Früchten. Ich werde nie wieder einen Apfelkuchen essen können, ohne liebevoll an Jeremy zu denken.
Epilog
29. SEPTEMBER 2013
Auf dem Weg nach Nevada
Die Fahrt nach Nevada ist lang, Jeremy plappert unablässig, ich aber schweige die meiste Zeit, blicke aus dem Fenster.
Die gigantischen Mammutbäume Mill Valleys werden bald von eintönigem Grasland abgelöst, ab und an ein Fluss, dann durchqueren wir Sacramento. Die vielen Reklametafeln brennen sich in meine Augen, die bunt
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