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Die Zeitstraße

Die Zeitstraße

Titel: Die Zeitstraße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Mahr
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Geisterhand bewegt mit unheimlicher Geschwindigkeit durch das Wasser schob.
    Immerhin gelang es mir, die Rudersklaven zu verkaufen. Mit den Begleitern, die mir noch geblieben waren, machte ich mich auf den Weg ins Landesinnere, zur Hauptstadt Atalan des gleichnamigen Königreiches, die wir neun Tage später erreichten. Insgesamt hatte meine Reise also drei Monate gedauert.
     
    »Ihr seid gekommen, um Atalans Macht zu sehen«, sprach Kaltheon, der König der Atalaner, »und, bei allen Geistern der Höhe und der Tiefe, ich werde euch nicht von hinnen gehen lassen, ohne daß ihr wißt, daß es nichts Herrlicheres zwischen Himmel und Hölle gibt als das große, unbesiegbare Atalan.«
    Er war ein häßlicher Mann, nur mittelgroß und unförmig dick. Er keuchte, wenn er gezwungen war, so laut zu sprechen wie in diesen Augenblicken. Denn er stand in der großen Thronhalle, und vor ihm am Boden knieten die Söhne der Fürstenhäuser rings um das Westliche Meer, die von ihren Vätern geschickt waren, um ihre Zeit am atalanischen Hofe abzudienen – so wie ich.
    Von vornherein gewann ein Mann in Kaltheons Gefolge mir weitaus mehr Interesse ab als der König selbst. Er war hochgewachsen und ungewöhnlich schlank. Er hatte große, schwarze Augen, die blickten, als gebe es im ganzen Universum nichts, was ihnen verborgen war. Später sah ich Kaltheon mit diesem Mann sprechen. Er hatte nichts von der Unterwürfigkeit an sich, mit der andere Höflinge dem Herrscher von Atalan begegneten. Im Gegenteil, er schien eher von Kaltheon Respekt zu erwarten. Das auffallendste an ihm aber waren seine Ohren: Sie saßen weit hinten an den Schläfen. Nach oben liefen sie spitz zu anstatt rund wie bei anderen Menschen, und oben auf der Spitze trugen sie ein winziges, grünliches Haarbüschel.
    Wir Prinzen und Fürstensöhne wurden in einem besonderen Teil des königlichen Palastes untergebracht. Es wurde alles für unsere Bequemlichkeit getan – und das war mehr, als wir uns hätten ausmalen können; denn die atalanische Technik vollbrachte Wunder, wie zum Beispiel das, Wasser auf die Betätigung eines Hebels hin aus der Wand strömen zu lassen, die uns von einem Staunen in das andere warfen. Bewegungsfreiheit gab man uns dagegen wenig. Wir durften den Palast nur unter Aufsicht verlassen, und dann waren unsere Wege genau vorgeschrieben. Auch untereinander hatten wir wenig Kontakt. Die Atalaner sahen es nicht gern, wenn die zukünftigen Herrscher der Westmeer-Reiche sich miteinander unterhielten.
    Im Laufe eines halben Jahres lebte ich mich soweit ein, daß ich mich daranmachen konnte, meine Aufgabe zu absolvieren. In diesen sechs Monaten hatte ich den Mann mit den spitzen Ohren des öfteren in der Nähe des Königs gesehen. Eine meiner Sklavinnen, die früher zur Bedienung des Fremden angewiesen war, berichtete mir in einem vertraulichen Gespräch, daß er dem Volk der Thubalkainer angehöre, von dem ich noch nie vernommen hatte. Dieselbe Sklavin, Saima, war im Laufe der Monate zu meiner Lieblingsgefährtin geworden. Eines Abends saßen wir auf dem Altan vor der Zimmerflucht, in der ich wohnte, als weit im Westen ein grelles, rötliches Licht sich in der Dunkelheit aufzublähen begann und rasch in die Höhe stieg. Kurze Zeit später überflutete ein bisher nie gehörter Donner mit solcher Wucht das Land, daß ich mich ängstlich duckte. Saima aber lachte und sagte:
    »Das ist nur eines der Wolkenschiffe der Thubalkainer. Du brauchst dich nicht davor zu fürchten.«
    Vom nächsten Tage an war der Fremde verschwunden. Wenige Nächte später erhob sich jedoch abermals ein donnerndes Geräusch. Ich sprang von meinem Lager auf und eilte auf den Altan hinaus. Da sah ich ein ähnliches rotes Licht, nur glitt es diesmal aus der Höhe herab und verschwand schließlich hinter dem Horizont. Gleich am nächsten Tag befand sich wieder ein spitzohriger Fremder im Gefolge Kaltheons. Aber es war nicht derselbe wie zuvor.
     
    »Kenan«, sagte ich, und sofort verwandelte sich die Welt in ein Land von Statuen.
    Unbehindert von den reglosen Wächtern stieg ich hinab in den Hof. Dort fand ich ein paar zweirädrige Wagen, wie sie die Höflinge bei ihren Ausfahrten benutzten. Unweit davon lagen die Ställe, in denen die Zugtiere gehalten wurden. Aber die Tiere waren ebenso starr wie die Menschen und die Blätter an den Bäumen. Mir blieb nichts anderes übrig: ich mußte mich zu Fuß auf den Weg machen. Das war nicht schlimm. Ich hatte Zeit. Ich zog die Uhr auf, die

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