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Die Zeitstraße

Die Zeitstraße

Titel: Die Zeitstraße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Mahr
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NICHT IMMER DIESE RICHTUNG SEIN
     
    Wir haben über Konventionen gesprochen – wie etwa die, die das erste Bewußtsein mit sich selbst abschloß, um mit seiner Umwelt ins reine zu kommen. Eine bestimmte Sequenz von Universalzuständen wird als »normal« definiert. Was das Bewußtsein beim Passieren dieser Sequenz empfindet, ist der Ablauf der Zeit.
    Nun ist aber das Universum voll von Orten, die unabhängig voneinander Leben hervorgebracht haben. Sollte sich an all diesen ungeheuer vielen Orten das lokale Urbewußtsein immer für dieselbe Konvention entschlossen haben? Das wäre ein unglaublicher Zufall. Gewiß, an der Konvention, die wir beachten, gibt es gegenüber anderen wichtige und wesentliche Vorteile. Zum Beispiel kommt der erwachsene Mensch »später« als das Kind. Eine Konvention, die dieses Verhältnis umkehrte, also das Kind »später« ansetzte als den Erwachsenen, müßte mit der Schwierigkeit kämpfen, daß das Kind als letzte Entwicklungsstufe mit einem kleineren Gehirn auskommen muß als die frühere Entwicklungsstufe des Erwachsenen. Von zunehmender Weisheit im Alter kann da wahrscheinlich nicht die Rede sein.
    Trotzdem mag es solche Entwicklungen gegeben haben – Zivilisationen, in denen die Zeit, von uns aus betrachtet, rückwärts verlief. Die Gegenüberstellung eines Erdenmenschen und eines Mitglieds dieser hypothetischen Zivilisation müßte erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen, wie Elfur Khan zu berichten weiß.
    Methusalah dagegen schlägt eine ganz andere Richtung ein. Er bewegt sich seitwärts durch die Zeit und erzielt dabei überraschende Resultate …

 
Methusalah
     
    Ich bin Methusalah Bin Henoch, und als sich der Tag meiner Geburt zum vierzehnten Mal jährte, nahm mein Vater mich beiseite und sprach:
    »Methusalah, der Herr Yawahi-Iluu hat dich zu Großem ausersehen. Kaltheon, der mächtige König von Atalan, trachtet nach dem Reichtum der Sethiter. Er ist nicht der erste. Seit Jahrhunderten sehen die Könige von Atalan mit Neid auf uns und treffen Vorbereitungen, das Volk der Sethiter zu unterjochen. Wir sind fast hilflos gegen sie. Die Zahl ihrer Krieger ist einhundertmal größer als die der unseren. Sie besitzen Zauberwaffen, gegen die unsere Schwerter und Schilde nichts auszurichten vermögen. Aber der Herr Yawahi-Iluu hat die Zeit in unsere Hand gegeben …«
    Damals verstand ich nicht, was er meinte. Mir wurde nur offenbar, daß man von mir erwartete, daß ich mich auf ganz besondere Weise in den Dienst des Sethiter-Reiches stelle. Daß diese Forderung von meinem Vater Henoch komme, war nicht mehr als natürlich, denn Henoch war der König der Sethiter, und nach seinem Tode würde ich ihm in diesem Amte nachfolgen.
    Die unmittelbaren Konsequenzen dieses Gesprächs waren für mich äußerst schmerzhaft. Man brachte mich in den inneren Teil des Königspalastes, wo sich eine Gruppe von Ärzten mit mir zu beschäftigen begann. Drei Tage nach der vierzehnten Jährung meines Geburtstages operierte man mir den Schädel. Man hatte mich zuvor bewußtlos gemacht, aber der Schmerz war so intensiv, daß er selbst den Mantel der Ohnmacht durchdrang. Eine Woche danach schwebte ich zwischen Leben und Tod, wie mir die Ärzte später versicherten. Ein ganzes Jahr verbrachte ich zunächst damit, mich von den Folgen der Operation zu erholen, und dann, die Anwendung der neuen Fähigkeiten zu erlernen, die die Operation mir eingebracht hatte.
    Mein Vater Henoch nahm mich hinaus auf einen der Höfe, auf dem Knechte mehrere Wagen Getreide entleerten und das Korn in schweren Säcken in einen Vorratsturm schafften.
    »Dies ist deine erste Prüfung, Methusalah«, sprach mein Vater. »Sieh dich um. Laß den Anblick des Hofes auf dich wirken. Dann sprich das Wort ›Kenan‹ und sieh dich abermals um. Fürchte dich nicht vor dem, was du erblickst. Mach dich damit vertraut. Geh umher und gewinne ein Gefühl dafür, wie man sich in jener Welt bewegt. Und wenn du genug gesehen hast, dann sprich das Wort ›Lamech‹. Vergiß das Wort nicht!«
    »Ich werde es nicht vergessen«, versprach ich. »Ich kenne das erste. Kenan war der Enkel Seths, des Begründers der Dynastie. Wer aber ist Lamech?«
    »Lamech«, antwortete mein Vater, »wird der Name deines erstgeborenen Sohnes sein.«
    Ich war verwirrt. Aber ich wollte es meinen Vater nicht sehen lassen. Mir war unheimlich zumute; aber natürlich gab es für mich nichts anderes, als genau das zu tun, was Henoch mir aufgetragen hatte. Ich sah mich um.

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