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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Fleischhacker
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tat ihr Übriges. Hans Heinz Fabris schreibt, dass der „großkoalitionäre Journalismus“ nach und nach vom „sozialpartnerschaftlichen Journalismus“ abgelöst wurde.
    Für Österreich lässt sich sagen, dass – zumindest in der öffentlichen Selbstbehauptung und wohl auch in der öffentlichen Wahrnehmung – die Idee der Medien, also des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Zeitungen, als „vierte Gewalt“ ausgerechnet in jenen drei Jahrzehnten ihre Blüte feierte, in denen sich diese Medien besonders eng an die Regierenden schmiegten: während der Herrschaft des „Sonnenkönigs“ und „Journalistenkanzlers“ Bruno Kreisky von 1970 bis 1983 und während der Neuauflage des großkoalitionären Programms von 1986 bis 1999.
„Fünfte Gewalt“?
    Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends hätte eigentlich der Druck der technologischen Veränderungen bereits spürbar sein müssen, aber er wurde abgemildert durch den warmen Anzeigenregen, der nach dem Platzen der „Dotcom-Blase“ mit der Rückkehr des konjunkturellen Booms auf die Zeitungen fiel. Mit dem scharfen Einschnitt nach der Lehman-Pleite im September 2008 kamen die scharfen Einschnitte in die personellen Strukturen der Zeitungsredaktionen. Seither müssen sich die traditionellen Medien die Frage gefallen lassen, ob nicht inzwischen eine neue, die „fünfte Gewalt“ in Gestalt von PR und Lobbying das Ruder übernommen hat. Der Begriff stammt von Thomas Leif und Rudolf Speth, das Buch, das die beiden herausgegeben haben, erschien unter zwei Titeln: einmal hieß es
Die stille Macht. Lobbyismus in Deutschland
; das andere Mal
Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland
.
    Diese „fünfte Gewalt“ ist so stark, dass sie inzwischen das Nachrichtenaufkommen in Agenturen und Tageszeitungen dominiert, behauptet zumindest der Fernsehjournalist und Medienberater Matthias Michael. 8 Zugleich eröffnet der „Verlust der Deutungshoheit“, den die professionellen Journalisten nach der Einschätzung von Matthias Michael zunehmend erleiden, die Chance zur Etablierung einer weiteren Alternative: der „fünften Gewalt“ in Form einer „digitalen Öffentlichkeit“, die zugleich eine Bedrohung für die klassische Medienindustrie und eine Chance zur Absicherung von deren Rolle als „vierte Gewalt“ darstellt.
    Die Journalistin und Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz hat im Sommer 2012 für die Website der Heinrich-Böll-Stiftung einen Essay mit dem Titel
Die fünfte Gewalt: Über die Neuausrichtung der medialen Gewaltenteilung
verfasst. 9 Die ehemalige Medienredakteurin des
Guardian
präsentierte darin Vorschläge für eine optimistische Interpretation der Ereignisse. Sie geht von jener doppelten Informations- und Aufklärungsfunktion des Journalismus („von oben“ und „von unten“) aus, die auch Heinz Pürer in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt hatte: Aufklärung der Bevölkerung und Aufklärung der Regierenden. Das von Jürgen Habermas in
Strukturwandel der Öffentlichkeit
beschriebene Gleichgewicht der Kräfte zwischen Medien und Politik habe sich, so Bunze, durch die Etablierung einer algorithmenbasierten „Veröffentlichungsgesellschaft“ grundlegend geändert.
    Immer öfter wendeten sich Politiker direkt an die Öffentlichkeit, ohne den Umweg über die Presse oder das Fernsehen zu nehmen. Zitiert werden Beispiele aus dem Vereinigten Königreich, aus den Vereinigten Staaten, aus Island. Vereinzelt würden die Möglichkeiten, Verbesserungen in der Verwaltung und die Sortierung wichtiger Themen im direkten Austausch mit der Bevölkerung zu bewerkstelligen, auch in Deutschland genutzt, aber bei weitem nicht so stark wie in der angelsächsischen Sphäre.
    Welche Rolle spielt der professionelle Journalismus in dieser (über weite Strecken noch immer: möglichen, potenziellen) neuen politischen Kultur, in diesem neuen medialen Raum? Mercedes Bunz sieht in der neuen „digitalen Öffentlichkeit“ neben ihren Möglichkeiten des direkten Austauschs zwischen Politik und Bürgern auch eine Quelle für den klassischen Journalismus. Zurecht: Aus der digitalen „Privatöffentlichkeit“ kommen immer öfter auch Hinweise für investigative Recherchen, die für professionelle Journalisten auf den klassischen Wegen nie zugänglich gewesen wären.
    Man kann den eben erstellten Befund auf zwei ziemlich unterschiedliche Weisen zusammenfassen. Die erste folgt der ideengeschichtlich-medientheoretischen Linie der Ereignisse und geht ungefähr

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