Die Zeitung - Ein Nachruf
Bürste darauf abgerieben wurde. Bereits im 5. Jahrhundert hatte es erfolgreiche Versuche mit der Technik der Steinabreibung gegeben, bei denen feuchtes Papier über ein Steinrelief aufgebürstet und in trockenem Zustand mit einem Tampon und Tusche eingefärbt wurde. Die moderne Zeitung wurde in China aber erst im 19. Jahrhundert aus Europa importiert.
Parallel zu den Schriftmedien erhielten sich aber auch zwei „Menschmedien“, die nah an die Geburt der Zeitung heran eine wichtige Nachrichtenfunktion erfüllten: der „Zeitungssänger“ und der Prediger. „Nach und neben anderen Formen und Funktionen des Sängers in der Antike, dem Mittelalter und der frühen Neuzeit“, schreibt Werner Faulstich in seiner
Mediengeschichte
, „bildeten sich auch fahrende Sänger heraus, die den Akzent auf historische Ereignisse, auf aktuelle Geschehnisse setzten.“ 2 Sie waren ebenso Neuigkeitslieferanten wie die Prediger, die viele Menschen allsonntäglich als einzige mit relevanten Neuigkeiten versorgten. Zwei der vier Kriterien, die man später zur Definition der Zeitung heranziehen wird, sind hier schon angelegt: die
Aktualität
im Sänger, die
Periodizität
im Prediger.
Eine deutsche Angelegenheit
Die Entwicklung der Zeitung ist eine europäische, eine deutsche Angelegenheit. Es wird also nicht verwundern, dass auch die Debatte darüber, was eine Zeitung überhaupt und eigentlich ist, ab welchem Zeitpunkt in der Geschichte der vervielfältigten Texte und Bilder man also im heutigen Sinn von einer „Zeitung“ zu reden habe, auf gewisse Weise eine deutsche Angelegenheit war. Diese Frage stellt sich ja nicht erst, seit ihr Produktcharakter – tägliches Erscheinen auf Papier – in Frage steht. Sie stand bereits ganz am Anfang auf der Agenda der deutschsprachigen Zeitungsforschung, die – wie die Zeitungsforschung insgesamt – eine relativ junge Angelegenheit ist. Ihre erste Hochblüte hatte sie zwischen 1918 und 1933. Im Deutschen Reich war die Pressefreiheit erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum Normalfall geworden und somit auch die Zeitungsforschung nicht besonders weit fortgeschritten. Und 1933 war es mit der Freiheit schon wieder vorbei. Die Zeitungen des Nazi-Reichs wurden per Reichsschriftleitergesetz gleichgeschaltet; die Zeitungsforschung wurde dem Reichspropagandaministerium zugeordnet.
Dazwischen hatte es wohl den einen oder anderen Ansatz gegeben, irgendwo zwischen Kultur-, Politik-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften das zeitungswissenschaftliche Fach zu etablieren. Max Weber etwa, der große Soziologe, hatte 1910 das Konzept einer wissenschaftlichen „Presseenquete“ vorgestellt. Webers Ansatz einer soziologisch-ökonomischen Analyse des Pressewesens mit empirischen Mitteln konnte sich allerdings nicht durchsetzen. Am Beginn der deutschsprachigen Zeitungswissenschaften dominierte der historisch-philologische Ansatz.
„Die Zeitungswissenschaft und die ihr nahestehenden Kreise“, schreibt 1931 Walther Heide, gemeinsam mit Karl d’Ester einer der Begründer der deutschen Zeitungswissenschaft 3 , „sind heute noch nicht zu einer einheitlichen, allgemein gültigen Auffassung darüber gekommen, in welche Zeit oder in welches Jahr man den Ursprung des deutschen Zeitungswesens verlegen soll.“ 4 Das hatte damit zu tun, dass man keine Einigung darüber erzielen konnte, was zu den Vorläufern der Zeitung zu rechnen wäre und was zu ihren direkten Anfängen.
In seiner 1931 erschienenen Schrift jedenfalls lieferte Heide – in Abgrenzung zu der damals verbreiteten These, dass man auch die ab dem Ende des 14. Jahrhunderts im Umlauf befindlichen, bis ins 16. Jahrhundert bei besonderen Anlässen erscheinenden Berichte über irgendwelche Ereignisse als „Zeitung“ zu bezeichnen habe – eine nach wie vor plausible Definition: „Der Charakter einer Zeitung“, schrieb Heide, erwachse „aus einer Publizität, d. h. einer Verbreitung an die große öffentliche Allgemeinheit, verbunden mit einer Periodizität und Aktualität ihres Erscheinens“. Klar ist für Heide mit dieser Definition auch, dass der Ursprung der Zeitung keineswegs mit der Erfindung des Buchdrucks zeitlich zusammenfällt. Ein Zeitgenosse Heides, Hans Traub, hatte einige Jahre zuvor die Ansicht vertreten, dass Gutenbergs Erfindung und ihre Träger, die Buchdrucker, ganz am Beginn des Zeitungswesen stünden, dazu kam „der neue Lebensrhythmus, wie ihn die Fülle der Ereignisse an der Wende des 15. und 16. Jahrhunderts schuf“. 5
Das
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