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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Fleischhacker
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zunächst einmal wenig Zweifel daran, dass es sich um etwas handelt, das seiner Struktur und seinem Aufbau nach den Kriterien einer „Zeitung“ in unserem heutigen Sinn entspricht. Das war auch sehr lange Zeit die allgemeine Lehrmeinung in den deutschsprachigen Zeitungswissenschaften gewesen.
    Walther Heide hatte nicht nur Zweifel, er kämpfte zornig und mit allen ihm zur Verfügung stehenden argumentativen Mitteln gegen die Legende an, dass die
Fugger-Zeitungen
die ersten Zeitungen gewesen seien. Und sein Hauptargument ist plausibel: Es fehlte die Publizität. Philipp Eduard Fugger ließ die „Zeytungen“, also die Nachrichten, die er in deutscher, französischer, italienischer und lateinischer Sprache erhielt, zwar bei einem Augsburger „Verleger“ für seine Sammlung vervielfältigen. An eine große Öffentlichkeit waren sie aber nie gerichtet – wie auch: Es handelte sich um Informationen, die dem Empfänger einen Wettbewerbsvorteil verschaffen sollten. Sie an ein größeres Publikum weiterzureichen hätte allenfalls dann einen Sinn ergeben, wenn dahinter ein valides Geschäfts-, also Bezahlmodell gestanden wäre, das die potenziellen Verluste aus dem Wegfall des Informationsvorsprungs durch Vertriebserlöse zumindest ausgeglichen hätte. Auch das muss dem Medienbeobachter des frühen 21. Jahrhunderts irgendwie bekannt vorkommen.
    Das Zeitungskriterium „Publizität“, nicht aber jenes der Periodizität, erfüllten die „Fliegenden Blätter“, in der Regel Einblattdrucke, die entweder auf dem Markt über der Schnur aufgehängt feilgeboten oder von „Marktschreiern“ und „Umbträgern“ in Schenken und auf der Straße unters Volk gebracht wurden. Als ältestes Blatt gilt ein in Fragmenten erhaltenes aus dem Jahre 1475, in dem es in Gedichtform um die Befreiung der von Karl dem Kühnen belagerten Stadt Neußa durch Kaiser Friedrich III. geht. Ein Prosablatt aus dem Jahr 1493 berichtet von den Trauerfeierlichkeiten für den nämlichen Kaiser.
    Der Begriff „Zeitung“ kam gegen Ende des 14. Jahrhunderts auf, zunächst bezeichnete er ein Ereignis, später erst den Bericht von einem solchen, die Wortwurzel stammt wohl aus dem Niederländischen, wo man es in der Bedeutung als Nachricht in „Theidung“, „Theiding“ und „Tidnung“ findet. Gedruckt fand man es erstmals, wie bereits ganz zu Beginn erwähnt, auf jenem Einblattdruck aus dem Jahr 1502 („newe zeytung von orient und auff gange“). Wenige Jahre später tauchte die Bezeichnung erstmals auch auf einem fliegenden Blatt auf: die
Copia der Newen Zeytung auss Presillg Landt
brachte Nachrichten aus dem 1500 von Pedro Alvarez Cabral entdeckten Brasilien.
    Diese in der Regel zwischen vier und acht Quartblätter umfassenden Drucke funktionierten im Wesentlichen bereits wie die heutigen Medien: Sie berichteten zuerst in lateinischer, später in deutscher Sprache über besondere Staats- und Kriegsbegebenheiten, Seuchen, Hinrichtungen, Mordtaten, Naturwunder und seltene Himmelserscheinungen, Hexengeschichten und was sonst an grausigen Vorkommnissen verlockend und tauglich für den Absatz war.
    Mitte des 16. Jahrhunderts bürgert sich die Nennung der Herkunft der Nachrichten bzw. der Zeitung an, was in Kombination mit der sich bereits ankündigenden, im 17. Jahrhundert in voller Blüte stehenden Titelüberladung zu ziemlichen Wortungetümen führen kann. Der Titel einer dieser frühen Zeitungen lautet:
Wahrhafftige Newe Zeitung von Mastricht […] Darinnen fast die fürnehmbsten Ausfall, Schiessen, Scharmützeln und Stürmen, sampt andern verlauffnen sachen, von anfang der Belagern, bis auff den 13. Junii dieses 1579. Jahres, sich begeben und zugetragen haben, Aus der Stadt Achen, den 12. Junii, an einen guten freund geschrieben. Gedruckt zu Cöln, Im Jar 1579
.
    Während sich also bei den unregelmäßig erscheinenden, sich aber an eine möglichst große Öffentlichkeit wendenden, mit Geschäftsmodell versehenen „Newen Zeitungen“ der Druck schnell durchsetzte, blieben die „Briefzeitungen“, die wiederum in ihrer frühen Periodizität den Vorläufercharakter für heutige Zeitungen beanspruchen können, bis weit ins 17. Jahrhundert hinein der Handschrift treu. Die kleinen Auflagen, in denen die Insiderinformationen der großen Kaufmannsherren in den elitären Zirkeln kursierten, konnten schneller und kostengünstiger von Schreibern produziert werden. Ungefähr so stellen sich die Edelutopisten des Mediengewerbes ja auch im 21. Jahrhundert die

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