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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Fleischhacker
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Zukunft der Zeitung vor: Das Internet ist die billige, reichweitenstarke Flugschrift von einst, während die gedruckte Zeitung zum exklusiven, handgefertigten, von kunstvoll arbeitenden Schreibern gefertigten Folianten wird. Der Engländer würde sagen: „We wish you well.“
    Vieles von dem, was vom 14. bis zum 16. Jahrhundert publiziert wurde, entspricht einer besonders schönen, weil nicht der Sicht des technischen Produzenten, sondern jener des Konsumenten geschuldeten Beschreibung dessen, was Zeitung ist und sein kann: „In stets wechselnden Ausdrucksformen, je nach Bedürfnis und Bildung, je nach den technischen Möglichkeiten, ob nun aus dem Munde des fahrenden Sängers, der Feder des Novellanten oder der Druckerpresse hervorgehend, immer schon suchte sich der Mensch ein Instrument zu gestalten, das sein kleines Ich in geistigen Zusammenhang bringt mit der eigenen Gegenwart und der ihn umgebenden Welt“, konstatiert Heide. 6
Auf dem Weg zur Produktreife
    Damit dieses vielstimmige Instrument zur „Zeitung“ werden konnte, mussten viele Dinge zusammenkommen: das neu erwachte Informationsbedürfnis der Märkte und der frühen, aus Italien kommenden Finanzindustrie, die zunehmend aufgeheizte Stimmung in den konfessionellen Auseinandersetzungen – und natürlich die vollkommen neue Art der Wissensvermittlung durch den Buchdruck. Auch die „Messrelationen“ spielten dabei eine gewichtige Rolle. Diese „Relationes Semestrales“ gehörten zu den stehenden Einrichtungen etwa der Frankfurter Frühjahrs- und Herbstmesse, ihre Quellen waren wiederum teils die gedruckten Flugblätter und „Neuen Zeitungen“, teils handschriftliche Nachrichten wie die wöchentlichen „Avisen“, Kaufmannsbriefe und mündliche Nachrichten. Kurz: Das Nachrichtenwesen verdichtete sich rund um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert zur Produktreife.
    Publizität, Periodizität, Aktualität – das waren Heides Kriterien gewesen. Karl Böhmer fügte ihm ein viertes hinzu, sodass die bis heute gültige Definition nun lautet: „Unter Zeitung im weitesten Sinne des Wortes versteht man einen Nachrichtenträger, der seinen Ursprung aus dem Neuigkeitsbedürfnisse der Menschen herleitet, das in der Nachricht seine Substanz und durch das Auftreten von Schrift und Druck eine feste Form der Fixierung gefunden hat, und der dann in unmittelbarer Anpassung an den sozialen, geistigen und technischen Fortschritt der Zeit die Merkmale der Aktualität und Universalität, der Periodizität und Publizität in sich aufgenommen hat.“ 7

    Galt lange Zeit ex aequo als älteste Zeitung der Welt: der
Aviso
von Wolfenbüttel, Jahrgang 1609.
    Es gehörte sehr lange zum zeitungswissenschaftlichen Konsens, dass die Anfänge der ältesten gedruckten Zeitungen im vollen Sinn des Begriffes am Beginn des 17. Jahrhunderts in den Handelsstädten Augsburg und Nürnberg anzusiedeln sind. Der Postrat Friedrich Grimme hat es 1903 zu einiger Berühmtheit gebracht, als er in der seinerzeitigen königlichen Bibliothek von Hannover ohne jede zeitungswissenschaftliche, aber mit großer postgeschichtlicher Ambition einen Band mit zwei „Aviso“-Jahrgängen aus den Jahren 1609 und 1610 fand. Lange ging man davon aus, dass der nicht genannte Druckort Augsburg sein müsse. Und zwar aus guten Gründen, denn tatsächlich wäre die Zeitungsgeschichte ohne diese Stadt ganz anders verlaufen. Augsburg war so etwas wie das Silicon Valley der deutschen Renaissance. Es war schon 1270 Freie Reichsstadt geworden, nachdem 1251 die Bürger in einem Aufstand gegen den Bischof gesiegt hatten. Die Zünfte, die sich 1368 eine Verfassung gaben, gewannen allmählich den größten Einfluss in der Stadtregierung und Augsburg eine führende Stellung im Schwäbischen Städtebund. 8 Im 16. Jahrhundert schließlich, also eben in der Vor- und Frühgeschichte der Zeitung, erreichte die wirtschaftliche und politische Entwicklung der Stadt ihren Höhepunkt. Die Fugger und die Welser hatten bereits Verbindungen zu den wichtigen Städten Europas, sogar in Übersee. Im Fondaco dei Tedeschi, dem deutschen Kaufhaus am Rialto in Venedig, nahmen die Augsburger die erste Stelle ein. 1519 hatten die beiden großen Handelshäuser die Kaiserwahl Karls V. finanziert, 1528 waren den Welsern Rechte auf Venezuela zugesprochen worden.
    Es ist kein Zufall, dass die Entwicklung des Zeitungswesens mit dem ersten großen, vom Westen ausgehenden Globalisierungsschub und der ersten großen Kapitalakkumulation nach der

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