Die Zeitung - Ein Nachruf
Zugangen“. Carolus’ Kalkulation war denkbar einfach gewesen: Die massenhafte Reproduktion würde zu einer drastischen Senkung der Stückkosten führen. Und der Bedarf lag deutlich höher als bei den 15 bis 20 Stück, die man nach herkömmlicher Arbeitsweise hatte herstellen können.
Zusätzlicher Kenntnisse bedurfte es ebenfalls nicht: Anders als ältere Periodika wie die semestralen Messrelationen bedurfte es in Carolus’ Wochenzeitung keiner redaktionellen Auswahl und Bearbeitung, um sie in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Die Meldungen gingen in der Ordnung ihres Eintreffens in Druck, „ohn einigen Zusatz / unnd Anderst nicht / das wie sie geschriben hierher khommen“. Bis zur akuten Politisierung des Zeitungswesens wird dieses Prinzip gelten; es wird sich unter dem Begriff „copy/paste“ nach der nächsten technologischen Revolution, nämlich der digitalen, wieder einschleichen: Die Zeitung bzw. das Medium hat der Wahrheitspflicht Genüge getan, wenn es die einkommenden Meldungen unverändert wiedergibt; die Prüfung des sachlichen Wahrheitsgehaltes, der Plausibilität oder auch nur der Seriosität ist nicht Sache des Verbreiters. Aus inhaltlich-publizistischer Sicht konnte man die neu entstandenen Wochenzeitungen durchaus als Rückschritt sehen: Für das Verfassen der früheren Gattungen hatte es deutlich höherer Qualifikationen – vor allem akademische Bildung – gebraucht als für das reine typografische Reproduzieren existierender Nachrichtenbriefe.
Halten wir also noch einmal fest, was die drei wichtigsten Bedingungen für die Entstehung der Vorläufergattungen und der modernen Zeitung selbst im rheinischen Gebiet des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts waren: Erstens das einfache Herstellungsverfahren auf der Seite der Produzenten; zweitens die Intensivierung des Handels und die Akkumulation von Kapital und die damit verbundenen Informationsbedürfnisse zumindest eines engeren Kreises von Nutzern; drittens das gesteigerte Interesse immer größerer Bevölkerungsschichten aufgrund einer veränderten politisch-historischen Weltlage.
Die Zeichen standen auf Sturm, spätestens mit der 1618 beginnenden Folge von dreizehn zum Teil miteinander verschränkten Kriegen, die wir heute als Dreißigjährigen Krieg kennen, wurde es mitunter lebenswichtig, über die politisch-militärischen Vorgänge auf dem Laufenden zu sein. Die Zeitung, schreibt Johannes Weber, sei zwar „kein eingeborenes Kind des Krieges“, verdanke aber ihren historischen Durchbruch und ihre rasche Verbreitung den militärisch eskalierenden Konflikten jener mitteleuropäischen Katastrophe des frühen 17. Jahrhunderts. Dem engen Zusammenhang zwischen Zeitungskonjunkturen und kriegerischen Aktivitäten, der etwas weiter in die Tiefe reicht als bis zum geflügelten Wort „Only bad news are good news“, werden wir noch öfter begegnen.
Der Dreißigjährige Krieg als Vater der Zeitungsdinge: Mit dem Prager Fenstersturz begann eine Periode, in der Informationen lebenswichtig wurden.
Man kann ihn jedenfalls auch an den Gründungsdaten der frühesten Wochenzeitungen ablesen: Nach 1605 in Straßburg und 1609 in Wolfenbüttel entstand 1610 eine Zeitung in Basel, 1615 eine in Frankfurt/M., 1617 in Berlin und 1618 in Hamburg. Mit dem Ausbruch des großen Kriegs nach dem Prager Fenstersturz kam es zu einer regelrechten Welle von Zeitungsgründungen: in Danzig, Freiburg/Br., Köln, Frankfurt/M., Wien, Königsberg und Zürich. Einen weiteren Schub von etwa einem Dutzend Zeitungsgründungen brachte der Kriegseintritt Schwedens und die Invasion 1630/31. Es war im 17. Jahrhundert nicht anders als im 21. Jahrhundert: Von ökonomischen Depressionen waren auch und vor allem die Zeitungsunternehmen betroffen. Der kriegsbedingte wirtschaftliche Niedergang der 1640er Jahre reduzierte das Zeitungswesen auf gut zwei Dutzend Blätter, am Ende des 17. Jahrhunderts waren es dann bereits wieder 60 parallel erscheinende Zeitungen. Das bedeutete, dass die Versorgung des Publikums mit aktuellen politischen Nachrichten im Deutschen Reich seit Mitte des 17. Jahrhunderts flächendeckend geworden ist.
Als nächster Schritt in der Entwicklung des Zeitungswesens lag die Frequenzverdichtung nahe. Immer mehr Zeitungen erschienen nicht mehr nur im wöchentlichen Abstand, sondern zwei bis drei Mal pro Woche. Die
Einkommenden Wöchentlichen Zeitungen
erschienen in Leipzig zwischen 1636 und 1643 bereits fünfmal wöchentlich. Leipzig war wenig später auch der
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