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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Fleischhacker
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Entwicklung des Finanzwesens zusammenfällt. 9 Die Fugger verfügten 1546 über ein Betriebskapital von fünf Millionen Gulden, das entsprach dem Fünffachen des damals größten italienischen Bankhauses, der Medici in Florenz. Sie erwarben Bergwerke in Ungarn und in Tirol, in ihrer Glanzzeit hatten sie in den wichtigsten Handelsstädten nicht weniger als 17 Faktoreien.
    Mit den konfessionellen Auseinandersetzungen ist eine weitere Zutat zum historischen Rezept für die Entwicklung des Zeitungswesens angesprochen. Am 7. Oktober traf Luther in Augsburg ein, wo er vor Kardinal Cajetan seine 95 Thesen zum Ablass widerrufen sollte, für deren Verbreitung der bereits angesprochene, in Bologna ausgebildete Jurist und frühere Wittenberger Akademie-Rektor Christoph Scheurl gesorgt hatte. Luther verweigerte nach einem zweitägigen Disput mit dem Kardinal den Widerruf und musste die Stadt heimlich verlassen, seine Lehren aber fanden in Augsburg rasch eine große Anhängerschaft.
    Bereits 1519 gab es in Augsburg eine katholische und eine protestantische Partei. Im August 1520 beschied man elf Drucker auf das Rathaus, um ihnen zu erklären, dass sie ohne Wissen des Rates nichts drucken dürften, einige Jahre später mussten acht Drucker den Eid leisten, dass sie nichts ohne Angabe des Druckers und des Druckortes veröffentlichen dürften. Es kam auch zu Strafen: 1526 wurde Haug Marschalck als Verfasser einer Schrift zum Abendmahlsstreit, die für Unruhe gesorgt hatte, zu vier Wochen Haft im Turm verurteilt, sein Drucker Philipp Ulhart musste für acht Tage ins Gefängnis. Offiziell geschaffen wurde die ehrenamtliche, unentgeltliche Funktion des Zensors im August 1541, als allen Buchdruckern und Buchführern vor dem Rat eine gedruckte Verordnung vorgetragen wurde. Man berief oder „verordnete“ gebildete Männer, um das neu geschaffene Amt auszuüben. Man kann verstehen, dass der Wunsch nach Anonymität im 16. Jahrhundert ausgeprägt war und es die Drucker vorzogen, ihren Namen nicht zu nennen und Augsburg nicht als Druckort anzugeben.
    Es ist lehrreich und unterhaltsam, sich in die Argumentationen zu vertiefen, die nach Ansicht der frühen Vertreter der Zeitungswissenschaft für oder gegen Augsburg als Druckort des „Aviso“ sprachen. Der Grund, warum einige Jahrzehnte lang die Augsburg-Hypothese führend war, lag eben in den nachgerade idealen Vorbedingungen, die in der Fugger-Stadt herrschten. Dennoch war die Hypothese unzutreffend. Es stellte sich heraus, dass der „Aviso“ von dem Drucker Julius Adolph von Söhne unter Verwendung von Inhalten aus der Korrespondenz des Herzogs Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel herausgegeben wurde.
Die Gründungsurkunde
    Erst gegen Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts stellte sich heraus, dass man auch in Bezug auf die „zweite älteste Zeitung der Welt“ offensichtlich einem Irrtum unterlegen war: Die Straßburger
Relation
des Johann Carolus war nicht erst 1609 erschienen, sondern bereits 1605.
Und
1987 fand man die
Unterthenige Supplication Johann Caroli Buchtruckers
aus dem Herbst 1605 an den Straßburger Rat, in welcher er um die „Freyheit“, also das Privileg bzw. das örtliche Herstellungsmonopol für ein neuartiges Produkt, bat: eine gedruckte Zeitung im wöchentlichen Publikationsrhythmus. Johannes Weber, der mit seiner Publikation die Frühgeschichte der Zeitung umgeschrieben hat, nennt die
Supplication
die „Geburtsurkunde“ der Zeitung, „die den Akt in vollkommen unmissverständlicher Weise dokumentiert“. 10 Ebenfalls dokumentiert wird damit, dass am Beginn des Zeitalters der Zeitungen der Journalismus, wie wir ihn heute verstehen, absolut keine Rolle spielte. Johann Carolus, der zwei bereits existierende Berufsbilder – den Drucker als massenhaften Kopierer identischer Texte und den „Avisenschreiber“ oder „Zeitunger“ – in seiner Person vereinigte, verstand sein Geschäft weiterhin als reines Dienstleistungsgewerbe, so wie er es schon als Avisenschreiber betrieben hatte.

    Erst 1987 entdeckt: Johann Carolus’
Supplication
(links) an den Straßburger Rat gilt als die „Geburtsurkunde“ der Zeitung. Der erste erhaltene Jahrgang der
Relation
stammt aus 1609 (rechts).
    Der Schritt hin zur modernen Zeitung, auch das erscheint im Rückblick aus dem 21. Jahrhundert interessant, war ein Schritt in Richtung unternehmerische Effizienz: „zu gewinnung der Zeit“, wie es in seiner
Supplication
heißt, da es „mit dem Abschreiben langsam

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