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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Fleischhacker
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Geburtsort der ältesten Tageszeitung der Welt: Seit dem 1. Juli 1650 gab hier der Drucker Timotheus Ritzsch sechsmal die Woche die
Einkommende Zeitung
heraus.
    Ein weiterer Gradmesser für den erfolgreichen Verlauf der frühen Zeitungsgeschichte ist die Auflagenentwicklung. Die Frankfurter Postzeitung des kaiserlichen Postmeisters Johann von Birghden erreichte bereits in den 1620er Jahren eine Auflage von 450 Exemplaren. Zur selben Zeit druckte offensichtlich der Hamburger „Frachtbestätter“ Johann Meyer, der Oberaufseher des Hamburger Frachtwesens, seine
Wöchentliche Zeitung auß mehrerley örther
in einer Auflage von 1.500 Stück. Die durchschnittliche Auflagenhöhe der im 17. Jahrhundert erscheinenden Blätter lag bei 350 bis 400 Exemplaren. Die Reichweite dieser Produkte war deutlich größer, weil sie von Hand zu Hand weitergereicht wurden, an manchen Orten bildeten sich regelrecht Lesegesellschaften. Besonders optimistische Schätzungen gehen davon aus, dass ab der Mitte des 17. Jahrhunderts 200.000 bis 250.000 Bewohner des Deutschen Reiches regelmäßig eine Zeitung gelesen haben. Das entspräche 20 bis 25 Prozent der Lesefähigen, deren Zahl etwa eine Million (von 15 Millionen Gesamtbevölkerung) betrug.
Asymmetrische Entwicklungen
    Wie schon die Verbreitung des Buchdrucks 150 Jahre zuvor, so verlief auch die Entwicklung der Zeitung im gesamteuropäischen Vergleich asymmetrisch. Insgesamt erschienen im deutschsprachigen Raum im 17. Jahrhundert mehr Zeitungen als im restlichen Europa zusammen. Frank Bösch weist in seiner Mediengeschichte darauf hin, dass 1669 von den 32 europäischen Zeitungsstädten 17 im alten Reich lagen, während in Zentralstaaten wie Schweden, Dänemark, England oder Frankreich lediglich in der Hauptstadt Zeitungen gedruckt wurden. 11 Zunächst konzentrierte sich allerdings auch im Reich die Zeitungslandschaft auf den Süden und den Raum Sachsen-Thüringen. Im Kurfürstentum Hannover beispielsweise gab es bis ins 18. Jahrhundert kaum eine langlebige Zeitung – wegen der Restriktionen der Obrigkeit und der geringen Nachfrage.
    Ähnlich früh und ähnlich umfangreich etablierte sich das Zeitungswesen ab 1618 in den Niederlanden. Es herrschten ähnliche Voraussetzungen wie im Reich: eine polyzentrische politische Struktur und Kultur, verbunden mit konfessioneller Heterogenität und städtischem Wohlstand. In Italien hingegen kamen trotz des vorhandenen Reichtums und der fortgeschrittenen Alphabetisierung Zeitungen erst ab 1636 auf, weil die Obrigkeit es davor nicht zugelassen hatte, in Spanien erschien die erste Wochenzeitung im Jahr 1641.
    Besonders zögerlich verlief die Ausbreitung, auch das eine Parallele zur Entwicklung nach der Erfindung des Buchdrucks, im Norden und Osten Europas. Die erste schwedischsprachige Zeitung erschien 1645, die erste dänische 1672, die erste polnischsprachige, eine Eintagsfliege übrigens, 1661. In Russland etablierten sich Zeitungen überhaupt erst im Zuge der Reformen Peters des Großen ab 1702, als Mobilisierungstool im Krieg gegen Schweden. Die kaum vorhandene bürgerliche Stadtkultur in jenen Regionen hatte eine vergleichsweise geringe potenzielle Leserschaft und damit wenig Gewinnaussichten zur Folge, sodass den Zeitungen und Zeitschriften, die dennoch auf den Markt kamen, in der Regel kein langes Leben beschieden war. In jenen Regionen Europas, die Teil des Osmanischen Reiches waren, entstanden die ersten Zeitungen sogar erst im 19. Jahrhundert, etwa in Bulgarien, wo es erst 1848 die erste Wochenzeitung gab.
    Eines der Mittel, mit der die Obrigkeiten die Verbreitung von Zeitungen in den nord- und westeuropäischen Ländern auf einige wenige loyale Blätter eingrenzten (die erste französische Zeitung,
La Gazette
, war eng an den Kardinal Richelieu gebunden), war die Zensur. Im Laufe der Zeit lösten neue staatliche Zensurinstrumente wie der „Maitre de la libraire“ die einschlägigen Institutionen von Kirche und Parlament ab.
    Die wenigen loyalen Zeitungen verfügten also über ein Monopol, so wie das
Wiener Diarium
, das ab 1724 für 60 Jahre die einzige deutschsprachige Zeitung in der Donaumetropole war. Ihre Nachfolgerin verfügt noch heute über ein Monopol: Die Pflichtveröffentlichungen österreichischer Unternehmen dürfen weiterhin ausschließlich im „Amtsblatt“ der von der Republik Österreich herausgegebenen
Wiener Zeitung
publiziert werden.
    Die besonders große Zahl der dort erscheinenden Zeitungen ist ein Hinweis darauf,

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