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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Fleischhacker
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dass in dieser ersten Phase des Zeitungswesens die größte Pressefreiheit in den Niederlanden und im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation herrschte. In den Niederlanden wurden die existierenden Zensur-Erlasse von den unabhängig agierenden Städten kaum umgesetzt. Im Reich galten zwar auch für die Zeitungen die für den Druck im Wormser Edikt von 1521 formulierten Vorzensurregeln, aber hier erleichterte wieder die polyzentrale Struktur eine eher lockere Handhabung durch die jeweiligen Obrigkeiten. Die zentrale Kontrolle wurde im Weg von Druckgenehmigungen ausgeübt, regelmäßige Texteingriffe oder gar Verhaftungen sind aus dieser Zeit kaum bekannt.

    Regierungsorgan seit 300 Jahren: das
Wiener Diarium
, heute als
Wiener Zeitung
im Umlauf.
    Besonders interessant in diesem Zusammenhang ist England: Hier existierten phasenweise beide Modelle, indem einerseits die
London Gazette
als offiziöse königstreue Zeitung für einige Jahrzehnte über ein Quasimonopol verfügte, andererseits aber, von dieser Phase abgesehen, die Pressefreiheit besonders rasch und früher als überall sonst etabliert wurde.
Gemeinsamkeiten
    Trotz aller Differenzen inhaltlicher, infrastruktureller und politischer Natur wiesen die ersten europäischen Zeitungen in formaler Hinsicht starke Ähnlichkeiten auf. Wie bereits erwähnt, erfolgte die Zusammenstellung der Nachrichten nicht nach einem redaktionellen Konzept, sondern nach dem Zeitpunkt ihres Einlangens. Die Verständlichkeit muss für viele Leser ein erhebliches Problem gewesen sein, da es sich bei den Korrespondenten in der Regel um Fachleute handelte, die die entsprechenden Nachrichten ursprünglich für ihresgleichen verfasst hatten: Militärs und hohe Beamte, die nicht selten eine Nachricht zweimal abschickten, einmal – im Rahmen ihrer Dienstverpflichtung – an die vorgesetzten Stellen, einmal – gegen Gebühr – an die Zeitungsleute, die sie an ihr zahlendes Publikum weiterreichten.
    Auch inhaltlich dominierten die Ähnlichkeiten: Frank Bösch 12 trägt aus unterschiedlichen Quellen Zahlen zur inhaltlichen Gestaltung der Zeitungen des 17. Jahrhunderts zusammen, die folgendes Bild ergeben: Es dominierten außenpolitische Nachrichten, während „local news“ weniger als zehn Prozent des Platzes beanspruchten. Vornehmlich behandelte man die Ereignisse in den benachbarten europäischen Ländern, es fanden sich aber auch Nachrichten aus entfernteren Gegenden bis in den Orient und nach Amerika. Berichte über lokale Ereignisse fand man eher in den nach wie vor verbreiteten Einblattdrucken der
Newen Zeytungen
, die allerdings sehr oft in den gleichen Druckereien hergestellt wurden wie die neuen Periodika.
    Dass in den Zeitungen kaum lokale Nachrichten vorkommen, dürfte der Angst vor der Zensur geschuldet sein. Die Forschung zeigt, dass in Phasen mit größerer Pressefreiheit tatsächlich die inländische und lokale Berichterstattung zunahm, zum Beispiel während des Englischen Bürgerkrieges der 1640er Jahre und während der Revolutionen von 1789 und 1848. Dass auch in den Zeitungsmärkten, in denen liberalere Dauerzustände herrschten wie in den Niederlanden, überwiegend über das Ausland berichtet wurde, zeigt aber, dass der Hauptgrund für diese Schwerpunktsetzung wohl das Interesse der Leser gewesen sein muss. Über die Neuigkeiten in der Region war man offensichtlich bereits durch mündliche Kommunikation und Flugschriften informiert. Den meisten Raum nahmen in den europäischen Zeitungen des 17. Jahrhunderts Nachrichten mit militärischen Bezügen ein, in den kampfintensiven Sommermonaten waren das im Reichsgebiet bis zu 80 Prozent aller Berichte, selbst in den Wintermonaten waren es noch an die 40 Prozent. Wirtschaftsnachrichten hingegen machten zumeist nur wenige Prozent des Gesamtumfangs aus und beschrieben in erster Linie ankommende Schiffsladungen oder Naturkatastrophen mit wirtschaftlichen Folgen.
    Jedenfalls berichteten die frühen Zeitungen erstaunlich detailliert und kenntnisreich über die Ereignisse. Studien über den Westfälischen Frieden haben gezeigt, dass selbst Akten, die Historiker als geheime Quellen einstufen, in Zeitungen zu finden waren – WikiLeaks im 17. Jahrhundert? Ähnliches zeigte sich für die Niederlande am Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges (1702–1713): Die Zeitungen waren genau so gut informiert wie die am besten informierten Politiker ihrer Zeit.
    Über die Autoren und Korrespondenten dieser frühen Zeit weiß man relativ wenig, da

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