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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Fleischhacker
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die meisten aus Angst vor der Zensur anonym schrieben. Was die Herausgeber der frühen Zeitungsprodukte betrifft, scheint sich mit der neueren Forschung die Einschätzung, dass vor allem Postmeister Zeitungen herausgegeben hätten, zumindest zu relativieren, jedenfalls was das Heilige Römische Reich betrifft. Die Drucker sammelten die Meldungen selbst ein oder stellten einen Redakteur für diese Aufgabe ein, mitunter beschäftigten auch Gelehrte einen Lohndrucker. In Schweden hingegen spielten die Postmeister tatsächlich die zentrale Rolle, weil sie als Zeitungsherausgeber über eine Monopolstellung verfügten. Für Frankreich typisch ist die Abhängigkeit der Zeitungsmacher: Sie entstammten entweder der Familie des privilegierten Verlegers Théophraste Renaudot (er gründete 1631 die
Gazette de France
, die sich bis ins Revolutionsjahr 1789 hielt) oder waren mit staatlichen Pensionen bedachte Gelehrte.
    Das 17. Jahrhundert als das erste Jahrhundert der Gattung war eine Erfolgsgeschichte. Die Zeitung entwickelte sich, von den absolut Herrschenden zunächst so nicht wahrgenommen, zu einem kontinuierlichen Medium frühbürgerlich-demokratischer Öffentlichkeit. Die Zeitung als pluralistisches Medium unterlief und konterkarierte die etablierten Systeme: „Deutsch und Volkssprache gegen Lateinisch und Formelsprache, Nüchternheit gegen die Gestaltungsmedien barocker Opulenz, Bürgerlichkeit und Zugänglichkeit gegen das Herrschaftsmonopol von Hof und Kirche, Heroisierung des Zeitungshelden statt des kirchlichen Hierarchien bzw. Monarchen, vor allem der Austausch genuin eigener Interessen quasi von unten“, schreibt Werner Faulstich. 13

    Der Postreiter – hier jener der
Neuen Zürcher Zeitung
– und der Postmeister sind mit der Geschichte der Zeitung eng verbunden.
    Damit ergab sich erstmals eine Begriffsverschiebung, mit der wir es am Beginn des 21. Jahrhunderts noch einmal auf intensive Weise zu tun bekommen sollten: Aus dem komplementären Begriffspaar „öffentlich/geheim“ wurde mit der Ausbildung der bürgerlichen Privatsphäre das Begriffspaar „öffentlich/privat“. Geheimpolitik tendierte zum Betrug, der Herrscher zum Tyrannen, „Öffentlichkeit“ hingegen begann zu jenem Symbol für Aufrichtigkeit und Gesetzlichkeit zu werden, das später in der Gedankenfigur der Medien als „vierte Gewalt“ die entscheidende Rolle spielt.
    Der Erfolg des neuen Mediums war im Übrigen so groß, dass sich um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert die erste „Zeitungsdebatte“ abspielte. Der vom Erfolg der Zeitungen ausgelöste Kulturschock kulminierte im Vorwurf der „Zeitungssucht“. Man befürchtete eine Welle von Falschmeldungen, eine Beförderung der „schrecklichen Neugier“ – und damit verbunden alles, was man damals mit dem bevorstehenden Untergang des Abendlandes assoziieren mochte: Sensationsgier, Umkehrung der sozialen Ordnungen, Verkehrung des Politischen und des Privaten.
    450 Jahre später finden dieselben Debatten statt. Aus der „Zeitungssucht“ ist die „Internetsucht“ geworden, ernsthafte Menschen wie die britische Hirnforscherin Susan Greenfield, Baronesse und Mitglied des House of Lords, befürchten extrem negative Auswirkungen des exzessiven, nicht mehr kontrollierbaren und also mit Suchtverhalten gleichzusetzenden Konsums vor allem des boomenden Spiele-Anteils am Netz der Netze. Allerdings weiß man heute mehr über „Sucht“ und Greenfields Ergebnisse, die klar in Richtung einer Veränderung und Schädigung der Gehirne Spiel- und Netzsüchtiger hindeuten, sie können nicht mehr nur als kulturpessimistisches Geschwätz abgetan werden.
    So wie es heute Verteidiger der Nutzung der neuen Medien gibt – die weisen dann auf die frappierenden reaktiven Fähigkeiten hin, die junge Menschen in ihren Online-Spiele-Sessions erwürben –, griffen auch am Ende des 16. Jahrhunderts Verteidiger des Neuen in die Debatte ein: Kaspar Stieler publizierte 1695
Zeitungs Lust und Nutz
, Johann Peter von Ludewig im Jahr 1700
Vom Gebrauch und Missbrauch der Zeitungen
.
Frühe Impulse aus England
    Deutschland bzw. das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war die Wiege der Zeitungen, auch was die ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen für die Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit betraf. Die kräftigsten Schritte der Weiterentwicklung ging man im Lauf des 17. Jahrhunderts allerdings in England. 14 Dort wurde die erste Zeitung 1621 gedruckt, aber niederländische

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