Die Zeitung - Ein Nachruf
wichtigsten Impulse dafür kamen einmal mehr von den Britischen Inseln, aber auch aus dem frühaufklärerischen Frankreich: Das 1665 erstmals in Paris erschienene
Journal des scavans
gilt als die erste wissenschaftliche Zeitschrift, knapp gefolgt von der im selben Jahr erschienenen
Philosophical Transactions
. Was Literatur und Unterhaltung betrifft, war der französische
Mercure Galant
(erschienen 1672) stilprägend, bei den moralischen Wochenschriften der
Tatler
(1709) und der
Spectator
(1711). In Deutschland wurden diese Vorbilder ziemlich unverändert übernommen: Aus dem
Female Tatler
wurde die erste deutsche Frauenzeitschrift:
Die vernünftigen Tadlerinnen
; aus dem
Female Spectator
wurde
Die Zuschauerin
und aus dem
Lady’s Museum
das
Museum für Frauenzimmer
.
Die Deutschen holten gründlich auf, das neue Medium Zeitschrift verfügte im deutschsprachigen Raum bald über die größte Verbreitung, bis 1830 zählte man insgesamt 7.000 verschiedene Zeitschriftentitel, von denen freilich der größere Teil nur für kurze Zeit auf dem Markt war. Aus heutiger Sicht sind an dieser Phase der Medienentwicklung zwei Dinge besonders interessant: Erstens die zielgruppenspezifische Ausdifferenzierung – und hier besonders der Umstand, dass Frauen erstmals dezidiert als Zielgruppe angesprochen wurden –, die „die Öffentlichkeit“ als eine Art Arrangement sehr unterschiedlicher Öffentlichkeiten erscheinen lässt; zweitens die Tatsache, dass wir es erstmals mit einem gut dokumentierten Phänomen der Medienkonvergenz zu tun haben.
Im 18. Jahrhundert kamen Zielgruppen, etwa die Frauen, in den Blick. Auch hier wurde in England Pionierarbeit geleistet.
Frauenzeitschriften kamen in England um 1700 auf, im Zentrum ihres Angebots standen Ratschläge zur Lebensführung. Schon die erste Frauenzeitschrift der Welt,
The Ladies Mercury
von 1693, versprach Antworten auf „all the most nice and curious questions concerning love, marriage, behaviour, dress, and humor of the female sex, whether virgins, wives or widows“. 19 Später gaben sie sich häufig als weibliche Gegenstücke zu etablierten Zeitschriften aus, wie der bereits erwähnte
Female Tatler
oder der
Female Guardian
.
In anderen Ländern entwickelten sich die Frauenzeitschriften langsamer und/oder später, in Frankreich etwa gab es überhaupt nur eine von dauerhaftem Bestand, nämlich das
Journal des dames
(1759–1778). Man führt das hauptsächlich darauf zurück, dass durch die höheren Freiheitsgrade, die in der englischen Gesellschaft etabliert waren, auch Frauen früher die Möglichkeit hatten, sich publizistisch zu betätigen und als Zielgruppe interessant zu sein. Das amerikanische Beispiel spricht freilich gegen diese These: Hier entstanden erste Frauenmagazine erst 1792/93 mit
The Lady’s Magazine
. Die Inhalte deutscher Frauenzeitschriften waren deutlich weniger „sensationell“ und orientierten sich, mit wenigen Ausnahmen, deutlicher an der bürgerlichen Rollenverteilung der Geschlechter: Frauen sollten nicht durch Schreiben und Lesen ihre Aufgaben im Haus vernachlässigen.
Der Konvergenzprozess 20 , aus dem sukzessive die Zeitschrift entstand, bezog die bisher etablierten Medien ein. Vom Brief übernahm sie die eingeschränkte Lesergruppe, von der Zeitung die periodische Kontinuität, vom Buch die interessensspezifische Themenzentrierung, vom Flugblatt die Tendenz zur Visualisierung – später wurden die Illustrationen durch Fotografien ersetzt, was in weiterer Folge die heutige Gestalt von Zeitschriften und Illustrierten hervorbrachte.
Dass sich im 18. Jahrhundert tatsächlich so etwas wie ein Selbstverständnis bürgerlicher Öffentlichkeit herausbildete, hat nicht nur mit der schieren Existenz von zielgruppenspezifischen Medien mit unterschiedlichsten thematischen Schwerpunkten zu tun, sondern auch und vor allem mit den sich verändernden Gewohnheiten der Lektüre, besonders der gemeinsamen Lektüre. Auch Habermas verortete ja die Entstehung der bürgerlichen Öffentlichkeit in den englischen Kaffeehäusern des beginnenden 18. Jahrhunderts und ihrer Debattenkultur samt einem Selbstverständnis der englischen Presse als „vierte Gewalt“. Über die Kritik und teilweise Widerlegung von Habermas’ Theorie ist hier nicht zu reden, wohl aber darüber, dass die gemeinsame „öffentliche“ Lektüre zur Konstitution von Öffentlichkeit beiträgt – allerdings nicht notwendigerweise: In Wien etablierte sich die Kaffeehauskultur ab 1683, aber der
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