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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Fleischhacker
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Habermas’ Konzeption des „Strukturwandels der Öffentlichkeit“, der zufolge sich die bürgerliche Teilöffentlichkeit über eine „literarische Öffentlichkeit“ zur gesamtgesellschaftlich dominanten Öffentlichkeit verändert habe (siehe die Grafik auf Seite 29).
    Wie erwähnt, gibt es gegen diese Konzeption eine Reihe von Einwänden – beginnend mit der Tatsache, dass vieles von dem, was Habermas als entscheidende Entwicklungen des 18. Jahrhunderts beschreibt, bereits im 16. und 17. Jahrhundert begonnen hat –, aber Einigkeit besteht doch darüber, dass das 18. Jahrhundert die Zeit war, in der es zur medialen Formation der bürgerlichen Öffentlichkeit kam. Die Zeitung spielte dabei zunächst aber nicht die zentrale Rolle in dem Medienverbund aus Zeitung, Brief, Flugblatt, Buch und vor allem Zeitschrift, der als Trägerrakete für die gesellschaftliche Expansion des Bürgerlichen fungierte.
    Die Innovationen im Zeitungsmarkt selbst fanden eher in den Vereinigten Staaten statt – und etwas abgeschwächt in England. Dort nahm der Anteil an lokaler und „sensationeller“ Berichterstattung und journalistischer Parteinahme früher zu als auf dem Kontinent, auch die Entwicklung des Anzeigengeschäftes setzte früher ein. Als eine der wenigen deutschen Zeitungsinnovationen des 18. Jahrhunderts führt Frank Bösch 17 die Einführung einer Art Kulturteil im
Hamburgischen unpartheyischen Correspondent
, in dem der Typus des „gelehrten Artikels“ mitetabliert worden sei. Nun ja.
    Eine wirkliche mediale Innovation waren die sogenannten „Intelligenzblätter“, die sich neben Zeitungen und Zeitschriften als eigene Gattung entwickelten. Etwa 200 davon erschienen im deutschsprachigen Raum ab 1722. Sie brachten zunächst wöchentlich, dann halbwöchentlich Stellen-, Geburts- und Todesanzeigen, aber auch Werbung für Literatur. Als Erster erwirkte der Frankfurter Buchdrucker Anton Henscheidt vom dortigen Senat ein zwölfjähriges Privileg, ein solches Anzeigenblatt herauszugeben. Das tat er unter folgendem Titel:
Wochentliche Frankfurter Frag- und Anzeigungs-Nachrichten, von allerhand in und außerhalb der Stadt zu verkauffen und verkauffen, zu verleyhen und lehnenseyenden, auch verlohrenen, gefundenen und gestohlenen Sachen; Sodann Persohnen, welche Geld lehnen, oder ausleyhen wollen, Bedienungen oder Arbeit suchen, oder zu vergeben haben etc
. 18
    Ein echter Dauerbrenner ist das Modell der regionalen Billigoder Gratisanzeigenblätter. Heute verdanken sie ihr funktionierendes Geschäftsmodell der flächendeckenden Gratis-Verbreitung, bereits im 18. Jahrhundert hatten sie wegen des günstigen Preises im Vergleich zu den Zeitungen eine relativ hohe Verbreitung: 500 bis 1.000 Exemplare, während sich die durchschnittliche Auflage der Wochenzeitung vom 17. zum 18. Jahrhundert auf 600 verdoppelt hatte. Ihre Reichweite lebte davon, dass sie in öffentlichen Gebäuden, Auslagen und per „Zwangsdebit“ von Gasthäusern, Behörden, Amtspersonen, Klöstern und Krankenhäusern bezogen wurden. Publiziert wurden sie zwar von Privatpersonen, als Herausgeber trat aber, besonders in Preußen, der Staat auf, der sich dort 1727 das Monopol auf Anzeigen und damit auch auf die Intelligenzblätter sicherte. Heute müsste man eher von regionalen Quasi-Monopolen reden: Die Gratis-Anzeigenblätter sind in der Regel Teil eines größeren Medienverbunds und dienen dazu, Verluste aus dem Tageszeitungsgeschäft abzudecken.
    Die prägendste mediale Innovation des 18. Jahrhunderts war allerdings die Zeitschrift. Sie hat entscheidend mitgeholfen, den geistigen Boden der Aufklärung zu bereiten, und sie war maßgeblich beteiligt an der Entwicklung dessen, was man später die „bürgerliche Öffentlichkeit“ nennen sollte. Der formale Unterschied zur Zeitung ist in den 300 Jahren der Koexistenz gleich geblieben: Die Zeitschrift hat eine geringere Frequenz, ist daher also weniger auf aktuelle und allgemeine, sondern auf spezialisierte Inhalte ausgerichtet. In heutiger Sprache: Die Zeitung bietet „general interest“, die Zeitschrift bietet „special interest“. Beim Versuch einer Antwort auf die Frage, was in journalistischen Zusammenhängen „ewiges Leben“ verspricht, wird diese Unterscheidung noch eine ziemlich große Rolle spielen.
    Unter den frühen Spezialgebieten, die medial mit einer Zeitschrift abgedeckt wurden, waren Philosophie, Literatur und Wissenschaft, daneben etablierten sich die „moralischen Wochenschriften“. Die

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