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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Fleischhacker
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die angelsächsische Tradition. Das heute handelsübliche Verständnis von „vierter Gewalt“ als demokratieförderndes Korrektiv der herrschenden Machtverhältnisse ist eine idealistische Fiktion.

    Die Familien Schwingenstein, Goldschagg und Schöningh erhielten die erste Zeitungslizenz der alliierten Militärregierung Ost: Erstausgabe der
Süddeutschen Zeitung
vom 6. Oktober 1945.
    Was wir heute im deutschsprachigen Raum für die schon immer dagewesenen Institutionen der „vierten Gewalt“ halten, sind ausnahmslos Nachkriegskonstruktionen: Die
Süddeutsche Zeitung
erschien als erstes Lizenzerzeugnis der Militärregierung Ost im Oktober 1945, herausgegeben von den Lizenznehmern August Schwingenstein, Edmund Goldschagg und Franz Josef Schöningh. Sie sah sich in der Nachfolge der im Revolutionsjahr 1848 gegründeten
Münchner Neuesten Nachrichten
und dokumentierte das später, indem sie ihren Münchner Lokalteil so nannte.
Die Welt
, gegründet von den Siegermächten, erschien erstmals am 2. April 1946 in der Besatzungszone in Hamburg. 1952 wurde sie von Axel Springer übernommen, der im Jahr zuvor
Bild
gegründet hatte. Die Gründung der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung
schließlich ging auf einen Beschluss der Wirtschaftspolitischen Gesellschaft (Wipog) zurück, eines Vereins von Unternehmern, die ihre Interessen in der Öffentlichkeit stärker vertreten sehen wollten. Die erste Ausgabe der
FAZ
erschien am 1. November 1949.
    Aber auch andere Zeitungstitel, die heute gewissermaßen zum journalistischen Weltkulturerbe gezählt werden, sind vergleichsweise jung: Das französische Weltblatt
Le Monde
etwa geht auf eine Umerziehungsinitiative von Charles de Gaulle zurück, der nach der Befreiung Frankreichs wieder eine anspruchsvolle Tageszeitung erscheinen lassen wollte. In der Zwischenkriegszeit hatte die 1942 von den Deutschen geschlossene Tageszeitung
Le Temps
diese Rolle gespielt, eine Gründung des Jahres 1861, die während der Dritten Republik eine zentrale Rolle gespielt, in der Zwischenkriegszeit als offiziöses Organ des französischen Außenministeriums gegolten, jedoch ihr Ansehen wegen der Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht verspielt hatte.
Le Monde
übernahm sowohl das Redaktionsgebäude von
Le Temps
als auch deren typografisches Erscheinungsbild.

    Axel Cäsar Springer (1912–1985) stieg nach dem Krieg zum deutschen Zeitungszaren auf. 1952 übernahm er die 1946 von den Briten gegründete
Welt
, nachdem er 1951 mit der
Bild
das erfolgreichste europäische Boulevardmedium gegründet hatte.
    Medienökonomisch hat die „Stunde null“ die Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen zwischen Kontinentaleuropa und dem angelsächsischen Raum, die mit der nationalsozialistischen Machtergreifung Anfang der 30er Jahre und der Beherrschung der Medienszene durch den NSDAP-Verlag rund um die Eher-Gruppe und das Hugenberg-Imperium entstanden ist, um einige Jahre verlängert. Aber ab der Mitte der 50er Jahre fand auch in Deutschland statt, was in Amerika und England bereits in der ersten Jahrhunderthälfte begonnen hatte: ein Konzentrations- und Konsolidierungsprozess in der Zeitungslandschaft, der ganz wesentlich durch den Konkurrenzdruck der elektronischen Medien Radio und Fernsehen getrieben wurde.

    Die Anfänge der
Neuen Kronen Zeitung
, vor allem die finanziellen, liegen nach wie vor im Dunkeln: Erstausgabe vom 12. April 1959.
    Hatten 1954, als der „Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger“ gegründet worden war, noch 225 selbständige Zeitungen mit 1.500 Ausgaben in 624 Verlagen existiert, so waren es 1976 nur noch 121 Zeitungen mit 1.229 Ausgaben in 403 Verlagen. Die amerikanische Entwicklung hin zu regionalen Monopolen („Ein-Zeitungs-Kreise“) setzte sich in Deutschland durch. Auch in Frankreich hatte sich im selben Zeitraum die Zahl der Zeitungen halbiert, in Großbritannien wurden bereits 30 Prozent des Marktes von drei Verlagen beherrscht. Erneut wurde dieser Schrumpfungsprozess von einem rasanten Aufstieg der Boulevardpresse kontrastiert: Die
Bild-Zeitung
, nach dem Vorbild britischer Blätter wie des
Daily Mirror
konzipiert, wurde innerhalb weniger Jahre zur auflagenstärksten Zeitung Europas. In Österreich und in der Schweiz kam der Boulevard erst ein knappes Jahrzehnt später in Fahrt, durch die unter bis heute nicht restlos geklärten Bedingungen erfolgte Wiedergründung der
Kronen Zeitung
39 und des
Blick
jeweils im Jahr 1959. Der Konzentrationsprozess lässt sich nicht zuletzt

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