Die Zeitung - Ein Nachruf
Hysterie gewesen wäre. Die einschlägigen Belege aus der Literatur – etwa das Negativdenkmal, das Karl Kraus in den
Letzten Tagen der Menschheit
Alice Schalek setzte, der Kriegsberichterstatterin der
Neuen Freien Presse
– haben aufs Ganze gesehen eher anekdotischen Charakter. Während des Krieges dann hatten die Zeitungen mit den üblichen Schwierigkeiten in kriegerischen Zeiten zu kämpfen – Zensur und erschwerte Bedingungen, sogar im liberalen Großbritannien, und die Schwierigkeit, an gesicherte Informationen zu kommen. Als geeignetes Propagandamittel begannen die kriegführenden Staaten den Film zu entdecken: Die Gründung der ersten deutschen Filmunternehmen unter anderem durch Alfred Hugenberg während der Kriegsjahre fand durchwegs mit Unterstützung des Kriegsministeriums statt.
Die große Zäsur in der Zeitungsgeschichte zumindest Kontinentaleuropas war der Zweite Weltkrieg. Hitlers Eroberungszug hatte einerseits zur Gleichschaltung aller Medien geführt, andererseits erlaubte die starke Konzentration der NS-Propagandamaschinerie auf Radio („Volksempfänger“) und Film („Wochenschau“) am ehesten im Zeitungsbereich die Erhaltung dosierter Nischen der Vernunft. Zumindest auf den ersten Blick. Denn es bleibt die Frage, ob der Umstand, dass etwa in der
Frankfurter Zeitung
linke Journalisten, die anderswo entlassen worden waren, Unterschlupf fanden und sogar jüdische Redakteure in der kaufmännischen Abteilung versteckt wurden, nicht auch Teil der NS-Strategie gewesen ist, so wie die relativen Freiheiten für die katholische Bistumspresse.
Die Frage, ob und in welchem Sinn man den 8. Mai 1945, den Tag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, tatsächlich als „Stunde null“ für Österreich und Deutschland bezeichnen kann oder soll, wird kontroversiell diskutiert, seitdem man den Begriff aus der Sprache der Militärs in die Sprache der beschreibenden Gesellschaftswissenschaften importiert hat. Für die Geschichte der Zeitung ist er jedenfalls zutreffend: Die Woche zwischen dem 7. Mai und dem 13. Mai 1945 war seit Jahrhunderten die einzige Woche in Deutschland ohne Zeitungen gewesen. Und beim Neubeginn war tatsächlich nichts mehr so, wie es vorher war – und zwar in ganz Westeuropa.
Das Grundanliegen der Siegermächte bestand darin, die Medien als Instrumente der Demokratieerziehung zu etablieren. Vor allem natürlich in Deutschland und Österreich. Zunächst durften nur alliierte Medien erscheinen, sukzessive wurden Lizenzen an deutsche und österreichische Verleger vergeben, die als unbelastet galten, die führenden Köpfe der NSDAP-Medien wechselten in der Regel in mediennahe Bereiche wie etwa in die Werbebranche. Bei den Neuvergaben der Lizenzen wurden tendenziell regionale Verleger bevorzugt, die noch heute vor allem die deutsche Medienstruktur dominieren. Die Besatzungsmächte verfolgten dabei unterschiedliche Strategien in Anlehnung an ihre jeweiligen nationalen Traditionen: Die Briten bevorzugten eher parteinahe deutsche Verleger, die Amerikaner versuchten Zeitungsredaktionen mit Journalisten aus allen politischen Lagern zu etablieren. Gemeinsam war beiden der Versuch, in diesem „Umerziehungsprozess“ stärker angelsächsische journalistische Traditionen zu etablieren.
„Umerziehung“ und „vierte Gewalt“
Was in Westeuropa auf die „Stunde null“ folgte, macht deutlich: Wenn in zeitgenössischen Debatten davon die Rede ist, dass der Niedergang der Printmedien, vor allem der Tageszeitungen, ein demokratiepolitisches Problem aufwerfen würde, nämlich die Schwächung der Zeitung als Bestandteil der „vierten Gewalt“, handelt es sich im Wesentlichen um ein Projektionsphänomen. Die Hypothese, dass es sich bei der Rolle, die Medien im Rahmen der politischen Öffentlichkeit spielen, um eine Art inhärentes, Demokratie und Freiheit förderndes Prinzip des Medienwesens selbst handle, lässt sich historisch-empirisch nicht belegen, auch und gerade nicht durch das Umerziehungsprojekt der Siegermächte.
Von den ersten theoretischen Überlegungen zum Thema „vierte Gewalt“ 38 bis zur Wiedererrichtung des Pressewesens nach dem Zweiten Weltkrieg ging es immer um die Instrumentalisierung der Medien zur Absicherung der staatlichen Machtausübung in der jeweils für wünschenswert gehaltenen Form – oder aber um die Etablierung eigener Machtstrukturen durch politisch ambitionierte Publizisten. Ersteres kennzeichnet die kontinentaleuropäische Entwicklung, Letzteres
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