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Die Zeitung - Ein Nachruf

Die Zeitung - Ein Nachruf

Titel: Die Zeitung - Ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Fleischhacker
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sich wirtschaftlich nicht mehr lohnte.
    Frank Bösch schreibt, dass die Medien auf diese Weise einen „doppelten Effekt“ auf die Bildung der „sozial-moralischen Milieus“ gehabt hätten, die sich durch Kulturkämpfe und Sozialistenverfolgungen formierten: Einerseits habe die Parteipresse die Abschottung in getrennte Lebenswelten gefördert, weil die getrennten Medien die differenten Weltsichten von Sozialdemokraten, Katholiken, Liberalen und Konservativen verstärkt habe. Andererseits hätten manche, vor allem die liberalen Medien, aber auch Brücken gebaut, indem sie gelegentlich den Wortlaut von SPD-Reden im Reichstag veröffentlich hätten, wenn auch selektiv und in der Regel negativ kommentiert. 36
Globale Expansionen
    Was sich von der zweiten Hälfte des Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg abspielte, war ein großer Globalisierungsschub, in dem, wie 100 Jahre später, Medientechnologien eine große Rolle spielten, die nicht ausschließlich oder nicht einmal mehrheitlich in der Medienindustrie selbst ihre Hauptanwendung hatten. So gibt es Medienforscher, die das in jener Zeit angelegte weltweite Telegrafenkabelnetz das „viktorianische Internet“ nennen. Die Telegrafie und die eng mit dieser Technologie verbundenen Nachrichtenagenturen förderten in Kooperation mit dem Kolonialismus die Verbreitung des Mediums Zeitung in der außereuropäischen Welt. Dass die Nachrichtenagenturen Stützpunkte in den entlegensten Winkeln der Welt eröffneten – so wie Reuters 1871 in Shanghai –, unterstützte das Entstehen von Zeitungen in diesen Gebieten, zugleich konnten Agenturen und Telegrafenunternehmungen Länder wie Australien, Neuseeland oder Argentinien wegen der dort entstehenden Zeitungen als neue Absatzmärkte bearbeiten.
    Natürlich sind China und Japan die erstaunlichsten Beispiele für die rasante Entwicklung der Medien. Beide Länder hatten eine besonders alte Schriftkultur, hatten aber bis ins 19. Jahrhundert keine periodischen Medien entwickelt. Japan, das heute die größte Zeitungsdichte der Welt hat, holte die Entwicklung, die in Kontinentaleuropa ein halbes Jahrtausend in Anspruch genommen hatte, innerhalb weniger Jahrzehnte nach. Die Voraussetzungen dafür waren der hohe Alphabetisierungsgrad, die rasche Urbanisierung und das Vorhandensein von Zeitungsvorläufern in Form von Einblattdrucken, wie es sie in Deutschland im 16. Jahrhundert gegeben hatte. Vor allem in Edo, dem späteren Tokyo, waren also Verleger, Vertriebsschienen und lesefähige Konsumenten in großer Zahl vorhanden. Die grundlegenden Reformen während der Meiji-Zeit (1868–1912) wären vermutlich ohne Zeitungen so nicht durchsetzbar gewesen, es entstanden parallel parteinahe Zeitungen für die Eliten und unterhaltungsorientierte Massenblätter.

    Erst 1879 als erste japanische Zeitung gegründet, ist
Asahi Shimbun
heute die auflagenstärkste Zeitung der Welt.
    Auch im Fernen Osten war der Krieg einer der Väter der Mediendinge: Die Kriege gegen China (1895) und Russland (1904–1905) führten zu einer Professionalisierung der journalistischen Arbeit durch die Kriegskorrespondenten, zu einem Auflagenanstieg und zu steigendem politischen Einfluss der erfolgreichen Verleger, die sich einem populistischen Nationalismus verschrieben, der dazu neigte, die japanischen Kriegsverbrechen auszublenden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob und wie sehr tatsächlich die frühen Kriegskorrespondenten für die Ausbildung eines grenzübergreifenden kritischen Journalismus verantwortlich waren. Frank Bösch sieht darin eher eine „Mythenbildung der Journalisten selbst“ und macht das am viel zitierten Beispiel des
Times
-Reporter William Howard Russell im Krimkrieg fest. Ja, Russell habe aufrüttelnde Reportagen abgeliefert, aber in Wahrheit hätte sich die
Times
damals als ausgesprochen regierungsloyal erwiesen. 37 Auch die in der Literatur oft geäußerte Behauptung, dass die Fotos aus diesem Krieg eine wesentliche Rolle gespielt hätten, sieht Bösch eher nicht belegt.
Die große Zäsur und die „Stunde null“
    Der Erste Weltkrieg jedenfalls stellte nicht die große Zäsur in der Entwicklung der Medien insgesamt und der Zeitung im Speziellen dar, die man hätte vermuten können. Ja, konservative Zeitungen äußerten ihre patriotische Zustimmung zum Waffengang, während in Deutschland vor allem SPD-Organe pazifistische Aufrufe veröffentlichten, aber man kann wohl nicht sagen, dass der Erste Weltkrieg ein Produkt medialer

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