Die Zeitung - Ein Nachruf
Mechanismus: „In stets wechselnden Ausdrucksformen, je nach Bedürfnis und Bildung, je nach den technischen Möglichkeiten, ob nun aus dem Munde des fahrenden Sängers, der Feder des Novellanten oder der Druckerpresse hervorgehend, immer schon suchte sich der Mensch ein Instrument zu gestalten, das sein kleines Ich in geistigen Zusammenhang bringt mit der eigenen Gegenwart und der ihn umgebenden Welt.“ Mittelmäßige Journalisten haben im Lauf der Zeitungsgeschichte gelernt, auf diesen Instrumenten einigermaßen fehlerfrei zu spielen, wirklich gute Journalisten sind zu Instrumentenbauern geworden. Heute bauen sich die Menschen jene Instrumente, die ihnen dazu dienen, ihr kleines Ich in geistigen Zusammenhang mit der Gegenwart zu bringen, selber, weil ihnen die neuen Instrumentenbauer – Steve Jobs, Mark Zuckerberg, Larry Page & Sergey Brin – günstige Selbstbausätze anbieten. Der Vorteil ist, dass sie sowohl das Instrument als auch die Noten und die Aufnahmen der Profis gratis bekommen. Der Nachteil ist, dass, wie man spätestens seit dem Sommer 2013 mit den NSA-Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden weiß, die dabei von den Nutzern produzierten Daten sowohl kommerziell als auch geheimdienstlich verwertet werden. Potenziell zumindest, denn die Idee, dass die Damen und Herren von der NSA jeden einzelnen Weltbürger und seine Unterhaltungen oder Lektüren verfolgen, ist doch eher das Produkt einer publizistischen Strategie, die versucht, das zunehmende Unbehagen über die potenzielle Totalüberwachung zu monetarisieren.
Die beiden Gesichter der digitalen Kommunikation: Facebook-Gründer Mark Zuckerberg (links) sammelt Milliarden von Datensätzen. Edward Snowden (rechts) deckte auf, dass die NSA diese Daten auswertet.
Frank Schirrmacher, der für das Feuilleton zuständige Mitherausgeber der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung
, ist ein Meister solcher publizistischer Strategien. Er ist mit einem exzellenten Gespür für Themen ausgestattet, die auch in eleganteren Zielgruppen hysterisierungsfähig sind, und er beutet diese Themen in einem Medienmix aus, zu dem in der Regel ein Buch-Bestseller gehört. Das haben gute, unternehmerische Journalisten immer getan. Und sie hatten immer eine gewisse Robustheit, was die Widersprüche betrifft, die sie dabei produzieren. Frank Schirrmacher sagte in der Umfrage, die
Der Spiegel
für seine Zeitungsgeschichte unter Zeitungsmachern durchgeführt hatte: „Die Zeitung ist die richtige Antwort auf solch neue Ängste, sie ist das einzige nicht überwachungsfähige Medium.“
Man kann der Überlegung ein gewisses Maß an Originalität nicht absprechen: Das eigene analoge Medium wird als einzige verfügbare Antwort auf die Angst vor der digitalen Totalüberwachung präsentiert, die man zuvor im analogen Medium Buch selbst geschürt hat. 2 Dabei muss man sich freilich darauf verlassen (können), dass auch das Oberschichtpublikum, mit dem man es zu tun hat, nicht mitkriegt, wie absurd das Argument ist. Die Zukunft der Zeitung auf dem Umstand aufzubauen, dass bedrucktes Papier nicht abgehört werden kann, ist ungefähr so schlüssig wie die Annahme, die Zukunft der Transportindustrie gehöre den Pferdefuhrwerken, weil man aus den Pferden, wenn man nicht mehr weiterkommt, wenigstens Leberkäse machen könnte.
Auch wenn in vielen Redaktionen seit einiger Zeit Prozesse laufen, welche die Zusammenlegung von Print- und Onlineabteilungen zum Ziel haben, denken die Redaktionsverantwortlichen, wenn sie über die Zukunft nachdenken, nicht in erster Linie an das „Prinzip Zeitung“, also die Etablierung von professionellem Journalismus in den neuen digitalen Zusammenhängen, sondern sie denken an die Erhaltung des Printprodukts. Die Umfrage, die Cordt Schnibben im Zuge seines
Spiegel
-Projekts gemacht hat, unterstreicht diesen Eindruck. Brigitte Fehrle etwa, die Chefredakteurin der während der vergangenen Jahre arg gebeutelten
Berliner Zeitung
– sie wurde zunächst von der „Heuschrecke“ Thomas Montgomery übernommen, dann mit der inzwischen von der
FAZ
übernommenen
Frankfurter Rundschau
zwangsfusioniert –, hofft auf zusätzliche digitale Erlöse, damit das Printprodukt nicht stirbt. Denn ohne Papier-Zeitungen, meint sie, „haben wir irgendwann einmal eine Wüste von wilden Informationen, die durch die Welt geistern und von niemandem mehr sortiert, geordnet und geprüft werden“.
Einen ähnlichen Ton schlägt Stephan-Andreas Casdorff an, einer der beiden
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