Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zeitwanderer

Die Zeitwanderer

Titel: Die Zeitwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Lawhead
Vom Netzwerk:
deren Name sie trug. »Vielen Dank«, sagte sie schniefend und wickelte sich in die Reisedecke. Während die Wärme langsam ihren Körper durchdrang, begann Mina sich ein wenig besser zu fühlen, nicht zuletzt wegen Etzels Zusicherung. Reiß dich zusammen, Mädchen!, sagte sie zu sich selbst. Du musst einen klaren Kopf bewahren. Denk nach!
    Als Erstes kam ihr der Gedanke, dass ohne Zweifel allein ihr Freund, diese elende Ratte, die Schuld an ihrer gegenwärtigen misslichen Lage trug. All dieses Gerede über Leilinien - oder wie immer das hieß -, das Überqueren von Schwellen zu anderen Welten und den anderen Quatsch: Es war so ... Sie suchte nach dem passenden Wort. Unmöglich. So vollkommen unmöglich. Kein vernünftiger, geistig gesunder Mensch würde oder könnte ihm glauben.
    Trotzdem ... Hier war sie nun.
    Aber wo genau war das?
    »Entschuldigen Sie, Herr Stiglmaier ...«
    »Etzel«, korrigierte er sie lächelnd.
    »Entschuldige, Etzel, aber wo genau sind wir?«
    »Also«, sagte er und saugte an seinen Lippen, während er nachdachte, »wir sind nicht weit von dem Dorf Hodyně in Böhmen entfernt, das Teil des Heiligen Römischen Reiches ist.« Er blickte sie von der Seite an. »Was hast du denn gedacht, wo wir uns befinden könnten, wenn ich fragen darf?«
    »Darauf kann ich dir nur schwerlich eine Antwort geben«, erwiderte sie. Zumindest fühlte sie sich bei der Benutzung der deutschen Sprache langsam wohler - es war wie bei einer eingerosteten Pumpe, die durch den Gebrauch immer besser funktionierte -, und die jeweils passenden Wörter fielen ihr immer schneller ein. »Ich bin mit jemandem gereist, der ... nun ja, wir haben uns verloren. Es gab einen Sturm, musst du verstehen, und es scheint, dass wir dadurch getrennt wurden. Es ist alles sehr verwirrend.«
    Engelbert nahm diese Erklärung mit gelassener Zustimmung auf. »Ja, das Reisen kann sehr verwirrend sein. Und dieser Sturm ... Er war sehr heftig, nehme ich an?«
    »Jawohl!«, pflichtete sie ihm bei und dachte: Du hast keine Ahnung, was für ein Sturm das war.
    Sie setzten ihre Fahrt schweigend fort. Mina starrte hinaus in die eintönige Landschaft; alles war braun und grau unter dem dunklen Oktoberhimmel - wenn es überhaupt immer noch Oktober war. Das nahm sie zwar an, konnte sich aber dessen nicht sicher sein. Die Felder waren klein und sahen hinter ihren Umzäunungen aus Steinen oder Weidengeflecht ordentlich gepflegt aus. Bewaldete Hügel, die in den Herbstfarben Gold und Braun gekleidet waren, erhoben sich zu beiden Seiten der mit Kopfsteinen gepflasterten Straße. Hier und da erblickte Mina kleine, aus Holzbrettern errichtete Häuser, die grau verwittert waren. Die Dachschindeln, die ziemlich morsch wirkten, waren mit Moos bedeckt. Es gab auch weiß getünchte Häuser mit niedrigen, strohgedeckten Dächern. Alles sah sehr altertümlich aus ...
    »Welche Zeit haben wir eigentlich?«, fragte sie plötzlich. »Ich meine, welches Jahr?«
    »Wir befinden uns im dreißigsten Jahr der Herrschaft von Kaiser Rudolf II.«, antwortete Etzel sofort. Er schien zu spüren, dass die Verwirrung seiner Reisegefährtin nicht nur den Ort einschloss, sondern ebenso die Zeit. »Wir sind im Jahre des Herrn 1606.«
    »Aha!« Wilhelmina machte ein finsteres Gesicht. Es war schon schlimm genug gewesen, als sie sich vorgestellt hatte, sie wäre in Cornwall. Das aber war eindeutig schlimmer. Und falls es etwas gab, was man deswegen unternehmen sollte, vermochte sie nicht zu erkennen, was es sein könnte. Keine Panik!, sagte sie zu sich selbst. Irgendetwas wird geschehen, und du wirst wieder zu dir kommen. Bis dahin hast du keine andere Wahl, als die Dinge so zu nehmen, wie sie sind.
    »Bist du hungrig?«, erkundigte sich Etzel.
    »Ein wenig«, gestand Mina.
    »Ich meinerseits bin immer hungrig«, verkündete er, als ob dies eine außergewöhnliche Heldentat wäre. »Hinter dem Sitz ist eine Tasche.«
    Mina drehte sich auf ihrem Sitz herum und löste ein wenig das Verdeck, sodass sich ein Eingang zum Wagenkasten bildete. Sie erblickte Fässer und große Säcke, die so aussahen, als ob sie Mehl oder vielleicht auch Zucker enthielten.
    »Siehst du es?«
    »Hier ist es!« Sie erspähte einen kleineren, ausgebeulten Sack und riss ihn hoch.
    Mina legte ihn sich auf den Schoß und löste die Kordel, mit der man den Sack oben zugebunden hatte. Zum Vorschein kamen ein halber Laib dunkles Brot, ein in Tuch eingewickeltes Stück Käse, ein Wurstende, drei kleine Äpfel und eine

Weitere Kostenlose Bücher