Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)
Oberfläche war, sah er beinahe so fleischlos aus wie ein blanker Schädel.
Gern hätte ich den Auferstandenen noch ein bisschen länger köcheln lassen, aber nun stellten die Gardisten die größere Bedrohung dar. Ich schob mein Schwert unter den Boden des Kessels und kippte ihn. Eine Kaskade brennenden Öls schoss über den Boden und entflammte im Nu die Tür und jegliches Holz in ihrer Nähe. Da dazu auch einige wichtige Stützpfosten gehörten, nahm ich an, dass das eine höllische Ablenkung liefern dürfte. Normalerweise hasste ich es, Feuer einzusetzen, aber ich ging davon aus, dass die Leute, die diesen Raum bewachten, es nicht besser verdient hatten.
Statt uns in das rasend schnell ausbreitende Inferno an der Tür vorzuwagen, zogen wir es vor, aus dem Fenster zu flüchten. Bei all dem Rauch, der aus sämtlichen unteren Fenstern waberte, und der Ablenkung, die der wütende, kopflose Auferstandene verursachte, der immer noch über den Hof stolperte, bemerkte uns zunächst niemand. Wir schafften es zurück zu dem Seil, das wir auf dem Weg hinein hatten hängen lassen, und den größten Teil des Turmes hinauf, ehe der erste Armbrustbolzen in unsere Richtung abgefeuert wurde.
»Glaubst du, da sind noch mehr von diesen Auferstandenen in dem Burggraben?«, fragte Maylien, als sie sich auf das Dach des kleinen Turms fallen ließ.
»Warum?«
»Weil irgendjemand, sollten wir hierbleiben, auf die Idee kommen könnte, eines der Katapulte auf den anderen Türmen zu benutzen, um etwas weitaus Tödlicheres als ein paar Bolzen auf uns zu werfen. Wenn wir an dem Seil runterklettern, an dem ich raufgekrochen bin, sind wir einfache Ziele.« Sie zuckte mit den Schultern. »Schätze, es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.« Damit schwang sie sich über die Brüstung.
»Verrücktes Weib!«
»Aber du folgst ihr, richtig?« Triss klang resigniert.
»Natürlich folge ich ihr. Was, wenn da wirklich noch mehr Auferstandene sind? Dann wird sie Hilfe brauchen.« Ich folgte also Maylien über die Brüstung und ins Wasser.
Ehe ich drei Schwimmzüge getan hatte, gab Triss einen erleichterten Laut von sich. »Ich kann sie im Wasser nicht mehr schmecken. Ich glaube, wir sind hier sicher.«
Maylien war bereits wieder aus dem Wasser herausgeklettert, als ich das Ufer erreichte, und sie bot mir ihre Hand.
»Das war verrückt, das weißt du, oder?«, fragte ich, als sie mich herauszog.
»Ein bisschen vielleicht.« Sie grinste, und ihre Zähne leuchteten weiß in der Dunkelheit. »Andererseits ... also, eigentlich war es total verrückt!« Sie trat ganz nahe an mich heran und schlang die Arme um meinen Hals. »Meinst du nicht?« Dann küsste sie mich auf eine Weise, dass mir beinahe die Knie versagten – so sehr, dass Triss mich stützen musste.
»Keine Ahnung. Mir kommt das vor wie eine großartige Idee. Aber ich dachte, die künftige Baronin sollte so etwas nicht tun.« Es war scherzhaft gemeint, aber es klang doch schärfer als beabsichtigt – ich schätze, die vorangegangene Zurückweisung gärte noch in mir.
Mayliens Wangen röteten sich. »Das tut mir leid, aber ... na ja, ich sollte so etwas nicht tun. Heyin würde sich die Haare raufen,würde er uns so sehen, aber darüber werde ich mir jetzt nicht den Kopf zerbrechen, wenn du es nicht tust. Nur in dieser einen Nacht möchte ich noch einmal die Vagabundin sein, die ich die meiste Zeit meines Lebens war, und der künftigen Baronin eine wohlverdiente Pause gönnen. Wir hätten da drin ohne Weiteres sterben können, und meine Schwester zu konfrontieren wird noch gefährlicher werden. Die Chancen, dass ich sterbe, statt Baronin zu werden, stehen also so oder so ziemlich gut, nicht wahr?«
Ich nickte, weil sie recht hatte, doch es schmerzte mich, ihr zuzustimmen. Ich war ziemlich sicher, dass ich Mayliens Schwester im Bedarfsfalle töten könnte. Aber Maylien in die Lage zu versetzen, das selbst zu tun, nachdem sie Sumey eine formelle Warnung hatte zukommen lassen, dass und wann sie kommen würde? Da war ich nicht so sicher. Und da wir schon dabei waren: Selbst wenn es mir gelang, sie sicher bis zu diesem Punkt zu geleiten, konnte sich immer noch herausstellen, dass Sumey die bessere Schwertkämpferin war.
»Sollte ich nicht sterben, bleibt mir mehr als genug Zeit, die Ketten zu tragen, in die mich die Etikette legen wird, wenn ich einmal Baronin bin. Und darum möchte ich hier und jetzt etwas tun, ganz einfach, weil ich es so will, und nicht, weil ich es
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