Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)
Schwertführer der gefallenen Namara.
Ich hätte den Brief in Fetzen reißen sollen. Er war so oder so nicht für mich. Der Königsmörder war zusammen mit seiner Göttin gestorben. Zurückgelassen hatte er nur ein zerstörtes Wrack, das sich mit seinem Gesicht schmückte. Einen Schattenlöhner, der sich in den meisten Nächten bis zur Bewusstlosigkeit betrank, weil er sonst keinen Schlaf fand. Ich öffnete den Brief erneut. Immer noch besser, als mich Triss’ Vorwürfen zu stellen. Außerdem wusste ich nicht mehr, was er enthalten hatte.
Mein Bestreben gilt der Wiederherstellung der Gerechtigkeit. Mein Name ist Maylien Tal Marchon, und ich bin die wahre Erbin der Baronie derer zu Marchon. Wenn Ihr am Leben seid und dies lesen könnt, dann, dessen bin ich gewiss, seid Ihr der Königsmörder und die einzige Person, die mir helfen kann, meinen Titel zurückzugewinnen.
Gnädigste, wenn ich Eure einzige Hoffnung bin, dann könnt Ihr den Titel auch gleich vergessen.
Von dem Moment an, in dem ich Euch vor Monaten auf der anderen Seite des Gastraums im Greifen erblickte, war ich überzeugt, Ihr wäret es. Dennoch musste ich mich vergewissern. Ich wusste, dass der bevorzugte Assassine der Baronin – ich werde den Titel Klinge nichtdadurch beschmutzen, ihn auf diese Devin-Kreatur zu verwenden – nicht einmal hoffen durfte, in einem offenen Kampf gegen Euch zu bestehen.
Gegen den Königsmörder vielleicht nicht, gegen mich ... nun ja, da standen die Chancen schon gar nicht mehr so schlecht. Ich schüttelte den Kopf. Devin. Was sollte ich nur wegen Devin unternehmen? Das war immer noch die einzige Frage, die wirklich von Bedeutung war. Triss hatte höchstwahrscheinlich recht. Wir sollten abhauen. Aber als ich darüber nachdachte, fortzugehen, sagte irgendetwas tief in meiner Seele einfach »Nein«. Es war keine laute Stimme, nein, es war kaum ein Flüstern, aber es klang überaus entschlossen. Mein Blick huschte wieder zu dem Briefbogen.
Ich werde nun ein wenig ruhen müssen, aber ich werde im Greifenkopf nach Euch Ausschau halten, sobald ich dazu in der Lage bin.
Der Rest des Briefes bestand aus endlosem Geplapper über ihre Vertrauenswürdigkeit und die Schrecken, die die derzeitige Baronin über ihre Leute brachte. Türen, die mitten in der Nacht aufgebrochen wurden, Menschen, die verschwanden, ausgebrannte Bauernhöfe, all das übliche Chaos, Mord und Totschlag und exakt die Art von Elend, die einst die Aufmerksamkeit meiner Göttin auf sich gelenkt hätte. Was Maylien jedoch komplett unter den Tisch fallen ließ, waren gerade die Dinge, die mich derzeit wirklich interessierten. Beispielsweise woher sie wusste, wer Devin war und was er in diesen letzten fünf Jahren getrieben hatte. Ich zerknüllte den Brief erneut und warf ihn zurück in seine Ecke.
»Der Inhalt scheint dir heute nicht besser zu gefallen als zu dem Zeitpunkt, als du ihn das erste Mal gelesen hast«, bemerkte Triss in ätzendem Ton. »Ich hoffe, das bedeutet nicht, dass dudas Saufgelage zu wiederholen gedenkst, das die Lektüre beim ersten Mal ausgelöst hat.«
»Dafür habe ich eigentlich keine Zeit, nicht wahr?«
Der Schatten eines Drachen hob die Schwingen wie zu einem Schulterzucken, ehe er auf den Tisch vor mir herabsauste. »Das hat dich in der Vergangenheit auch nicht abgehalten.«
»In der Vergangenheit wusste ich auch nichts von Devin oder irgendeinem Handel, den mein ehemaliger Bruder mit dem Sohn des Himmels geschlossen hat.«
Triss hob den Kopf und stierte mich an. »Das hört sich ja beinahe an wie der alte Aral. Der Sturkopf. Ich nehme also an, dass wir die Stadt nicht verlassen werden?«
»Nicht, solange wir nicht mehr darüber erfahren haben, was beim Untergang des Tempels vorgefallen ist.«
»Und was ist mit Maylien und der Entthronung ihrer bösen Baronin?«
»Die Baronin loszuwerden ist nicht mein Problem. Mein Interesse an Maylien beschränkt sich darauf, herauszubekommen, was sie über Devin weiß. Oh, und den Rest meines Lohns einzustreichen, natürlich.«
Triss legte den Kopf schief und musterte mich skeptisch.
»Sieh mich nicht so an«, sagte ich. »Ich habe den verdammten Brief doch abgeliefert, oder etwa nicht? Zu mehr bin ich nicht angeheuert worden – von diesem Mist mit der Baronin war überhaupt nicht die Rede. Komm schon, sehen wir uns mal um.«
Ich glitt von meinem Platz auf der Truhe und sank auf die Knie, vorsichtig, um meinen Kopf vor ruckartigen Bewegungen zu schonen. Dann, nachdem sich Triss
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