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Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)

Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)

Titel: Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly McCullough
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in mein Glas und verkorkte die Flasche. Dann kippte ich den Whiskey hinunter und stellte das Glas ab. Mein Poncho kam wieder aus der Truheheraus und wurde auf dem Bett ordentlich zusammengefaltet, ebenso wie Kapuze und Hemd.
    Ich legte die Schwerter säuberlich neben meinen Messern ab und bedeckte sie mit dem Trickbeutel. In diesem Moment fiel mir die Botschaft und mein gescheiterter Botengang wieder ein. Ein weiterer Misserfolg in einer langen Reihe. Man sollte doch annehmen, ich hätte mich inzwischen daran gewöhnt, aber es fiel mir immer noch genauso schwer, damit umzugehen. Ich griff nach dem Poncho.
    »Willst du nicht noch einen Blick auf den Brief werfen?«, fragte Triss. »Wir könnten stärkere Maßnahmen ergreifen, vielleicht sind sie auch etwas destruktiver, aber ...«
    »Nein.« Ich legte den Poncho über den Beutel.
    »Dir ist bewusst, dass er irgendwelche Hinweise auf Devin enthalten könnte, nicht wahr?«
    »Natürlich.« Nicht eine Sekunde glaubte ich daran, dass die simultane Ankunft von Devin und mir auf dem Balkon bloßer Zufall war. »Vielleicht nach acht oder zehn Stunden Schlaf. Dann kümmert mich das Ganze vielleicht sogar genug, Maylien aufzustöbern und ihr wegen dieser Sache kräftig den Marsch zu blasen, aber nicht mehr heute Nacht.«
    Andererseits, vielleicht auch nicht. Vielleicht würde ich nur einen Trunk nehmen oder auch sechs und die ganze Geschichte vergessen. Ich fügte dem Stapel in der Truhe die Kapuze und anschließend die Stiefel hinzu. Als ich die Hose wechselte, spürte ich, dass Triss mich wütend musterte, also wandte ich besonders viel Zeit und Sorgfalt dafür auf, meine graue Kleidung wegzupacken – ich hatte für eine Nacht bereits so viel Drängelei erduldet, wie ich nur ertragen konnte. Er gab ein Schnauben von sich, als ich den Deckel zuklappte, nörgelte aber nicht, also griff ich zum Schloss ... und verharrte. Ich konnte es einfach nicht tun.
    Als Klinge lernt man, dass es in Ordnung ist, wenn man sich entscheidet, nicht zu handeln. Die Entscheidung, nicht zudenken, das ist eine ganz andere Sache. Und obwohl ich keine Klinge mehr war, wirkte die Lektion doch nach.
    Seufzend klappte ich den Deckel wieder auf und nahm den Brief aus der Truhe. Wie Triss bereits bemerkt hatte, gab es noch ein paar Dinge, die wir jetzt tun konnten, um die Geheimnisse hervorzulocken, Dinge, die wir nicht hatten tun können, als es mir noch darauf angekommen war, die Botschaft intakt zu halten. Einige davon ging ich gerade in Gedanken durch, als ich mir den Brief genauer anschaute und erkannte, dass die Sache leichter sein würde, als ich erwartet hatte. Seit ich den Brief das letzte Mal betrachtet hatte, waren Worte auf dem zuvor leeren Papier oberhalb des Siegels aufgetaucht.
    »Für Aral Königsmörder, die letzte Klinge der gefallenen Namara.«
    Un-verdammt-fassbar. Nun lachte ich, und es war ein bitterer, düsterer Laut, der an zu lange gezogenes Efik erinnerte. Ich brach das Siegel und fing an zu lesen, und Triss schaute mir über die Schulter. Der Brief begann mit: »Mein Bestreben gilt der Wiederherstellung der Gerechtigkeit.«
    Nach den ersten paar Zeilen griff ich zur Whiskeyflasche. Und dieses Mal versuchte Triss nicht, mich aufzuhalten.

4
    M ein Tag begann mit Schmerzen. Pulsierenden Schmerzen und grauenhaftem Licht und einem wahrlich fauligen Geschmack auf der Zunge. Nichts, was ich nicht schon früher erlebt hätte. Um genau zu sein, war ich schon so oft an diesem Punkt, um zu wissen, dass es nicht klug war, die Augen gleich aufzumachen. Mit der linken Hand tastete ich aufwärts an der oberen Kante meiner Pritsche entlang, bis ich einen wohl gefüllten Weinschlauch berührte.
    Die Augen fest geschlossen, holte ich ihn herunter und drückte mir das kühle Leder an die Stirn, während ich am Verschluss herumfummelte. Endlich konnte ich mit großer Vorsicht den Hals in meinen Mund befördern und einen tiefen Schluck Dünnbier nehmen. Es war bitter, herb und warm, und es schmeckte wie Ambrosia. Gutes Landwasser wäre noch besser gewesen, aber in einer Stadt wie Tien tranken nur die Irren und die vollends Verzweifelten aus den Brunnen. Mancher hätte vielleicht auch Tee vorgezogen, aber da ich den Efikkonsum eingestellt hatte, nahm ich auch keine Heißgetränke mehr zu mir. Nicht, solange es einen höflichen Weg gab, sie zu meiden.
    Ich versuchte gar nicht, mich zu bewegen oder die Augen aufzuschlagen, ehe ich den halben Schlauch geleert hatte. Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich

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