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Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)

Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)

Titel: Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly McCullough
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sehen. Es hieß das oder eine Flasche Kyles, wohl wissend, dass ich nicht aufhören würde zu trinken, bis der Flaschenboden zum Vorschein gekommen war. Ich wollte trinken, ich wollte es so sehr, und vielleicht hätte ich es auch getan, wäre da nicht meine Verpflichtung gegenüber den Lebenden und den Toten gewesen. Das und mein unausgesprochenes Versprechen gegenüber Triss, nicht, das Trinken aufzugeben – dafür war ich nicht stark genug – nur, aufzuhören, ein Trinker zu sein.
    Ich ging zum Balkon und blickte hinaus auf die Stadt. Es war dunkel und ruhig, beinahe vollends still hier im Nadir des Tages in einem wohlhabenden Viertel der Stadt. Noch blieben ein paar Stunden, bis die Lieferanten und die Hausdiener, die dafür zuständig waren, die Reichen zu bedienen, sich auf ihre hastigen Vorfrühstücksrunden begeben mussten. Ein scharfer Kontrast zu den Stolprern oder Schmugglersruh, Gegenden, in denen die Dinge nie so ganz zur Ruhe kamen.
    Orte wie der Greif oder der Propellerfisch schlossen niemals ihre Pforten. Die Nachtarbeiter brauchten einen Platz, an dem sie sich treffen und etwas essen konnten. Die Huren und ihre Kundschaft benötigten dunkle Ecken und Stundenbetten. Und immer, immer gab es in diesen Gegenden jene verdammten Seelen, die es nach einem Trunk gelüstete. Letzteres war zur Hälfte dafür verantwortlich, dass ich dort irgendwann einmal ein Zimmer genommen hatte.
    Als ich mich von dem Balkon und der Tür in die Nacht abgewandt hatte, löste ich mühsam den harten Griff meiner Finger um meine eigenen Schultern und bereitete mich darauf vor, noch einmal zurück in die Tiefen meiner Vergangenheit zu sinken. Ich wollte dort nicht hin, aber noch hatte ich nicht, was ich brauchte, und wo hätte ich sonst danach suchen sollen?
    Dreh die Jahre zurück und finde ...
    Nachdem ich mein Kīla in die Sphäre gebohrt hatte, war in der Dunkelheit eine Stimme erklungen, und sie hatte nicht Devin gehört.
    »Ashvik?«, hatte Meister Kelos gefragt.
    »Ashvik«, hatte ich geantwortet, bereit, ihm die Stirn zu bieten. »Für die Göttin und für Alinthide.«
    »Gute Jagd«, war alles, was er darauf entgegnet hatte.
    Ich nickte und wandte mich zur Tür um. Ich sah weder Kelos noch Devin, doch als ich hinaus auf den Korridor ging, drückte eine Hand kurz meine Schulter. Eine andere legte mir eine dicke Börse in die meine. Devin und Kelos? Das war es, was ich damals geglaubt hatte, aber aufgrund von Dingen, die sich erst später ereignet hatten, fragte ich mich, ob nicht beide Hände Kelos gehört hatten.
    Aber das war nicht die Erinnerung, auf die ich zu stoßen hoffte. Vielleicht konnte ich sie in meinem ersten Besuch in Tien finden, in den Monaten, die der Nacht vorangegangen waren, in der ich einen König getötet hatte. Während der ersten paar Wochen hatte ich versucht, ihn außerhalb des Palasts zu erwischen, zweimal auf dem Anwesen der Marchons, wenn er das Bett seiner Mätresse geteilt hatte, einmal während einer Reise durch das Herzogtum Jenua und ein anderes Mal, als er seinen Bruder Thauvik an einem Standort der Streitmacht getroffen hatte. Jedes Mal hatte die Elite mit ihren steinernen Hunden meine Pläne derart durchkreuzt, dass ich nicht einmal aus der Ferne mit Pfeil und Bogen auf den König hatte anlegen können.
    Ashvik wurde zu gut bewacht. Langsam begriff ich, warumAlinthide und die anderen gestorben waren. Das hätte mich ängstigen oder wenigstens ernüchtern müssen, stattdessen erlebte ich das Gegenteil. Die Herausforderung berauschte mich. Ich würde da erfolgreich sein, wo die Großen versagt hatten. Ich würde den Tyrannen der Gerechtigkeit überantworten. Ich würde der Welt die Macht der Namara vor Augen führen. All das, weil nur ich es konnte, weil sie mich erwählt hatte und vor allem, weil ich der Beste war, den es gab.
    Ich war ein arroganter Narr. Ich hatte Glück. Und außerdem hatte ich recht.
    Zu jener Zeit und in jener Lage war ich in der Tat der Beste auf der ganzen Welt, und genau darum hatte die Göttin mich für die Mission auserwählt. Ich werde mich nicht selbst belügen und das abstreiten, aber genauso wenig werde ich meine Arroganz und Ignoranz infrage stellen. In irgendetwas einer der Besten der ganzen Welt zu sein ist sonderbar. Ein bisschen, als würde man zwischen zwei sehr tiefen Gruben über einen Zaun balancieren. Auf der einen Seite lauert Vermessenheit, auf der anderen der Selbstzweifel. Ein Fehltritt, gleich in welche Richtung, kann reichen, den

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