Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)
kniete ich kurz nieder und senkte das Haupt vor der Sphäre. Ich wusste nicht, ob Devin mich, in Schatten gehüllt, begleitet hatte oder ob er ein wenig hinter mir zurückgeblieben war, doch ich erkannte, dass das nicht wichtig war. Weder das noch die Anwesenheit irgendwelcher anderen Schwertführer. Das hier spielte sich allein zwischen meiner Göttin und mir ab.
Ich erhob mich und näherte mich der brusthohen Kugel. Das Obsidian war glatt poliert. In der Oberfläche konnte ich meine Reflexion klarer sehen als an einem absolut ruhigen Tag imSee. Das Einzige, was das perfekte Rund durchbrach, waren die Hefte der Kīlas, die hier und dort aus dem Stein ragten. Anders als in den Fels gerammte Kletterhaken sahen sie jedoch aus, als wären sie ganz einfach in die Kugel eingedrungen, so sauber wie ein scharfes Stilett sich in einen ungeschützten Rücken bohren mochte.
Ich suchte nach der Stelle, aus der die Hohepriesterin Alinthides Seelendolch gezogen hatte, aber da war kein Loch, das die Stelle gekennzeichnet hätte, also konnte ich nur grob raten. Vorgebeugt küsste ich den Stein dort, wo ich glaubte, dass er gesteckt hatte, und flüsterte ein Gebet für ihre Seele. Dann hob ich mein eigenes Kīla hoch über den Kopf und trieb es an derselben Stelle mit aller Kraft, die ich im Körper hatte, in den Stein.
In der Vergangenheit hatte ich schon einige Male die Investitur anderer Klingen beobachten können, dennoch rechnete ein Teil von mir immer noch damit, dass der schwarze Stahl klirrend und funkensprühend von dem Stein abprallen würde, und so bereitete ich mich auf den Schock des Aufpralls vor, der sich durch meine Hand und meinen Arm in meine Schulter fortpflanzen würde, erwartete die Taubheit, den Schmerz und die Scham ob des Versagens.
Nichts von all dem geschah. Das Kīla drang so sauber und glatt in den Stein, wie ein geübter Schlag die Kehle eines Schlachtschweins oder einer Ziege zu öffnen vermochte – wenn der Koch Fleisch benötigte, musste stets einer der Schüler das Tier schlachten. Sie drang immer tiefer ein, bis das Stichblatt auf dem Stein zur Ruhe kam. Doch als ich dann, kurz bevor ich es losließ, am Heft zog, fühlte es sich an, als wäre die Klinge mit dem Stein verschweißt worden. Dort würde sie bleiben, solange ich lebte, und wenn ich starb, würde irgendein künftiger Priester oder eine Priesterin ihn Namara zurückgeben. Das zumindest hatte ich damals geglaubt.
Ich hatte mich geirrt.
11
E s ist schon komisch, wie zwei ganz verschiedene Momente im Lauf der Zeit für immer durch Erinnerung und Schmerz verbunden sein können. Ich kann nicht an die transzendente Freude dieser Nacht meiner Investitur als Schwertführer zurückdenken, ohne zugleich das vor mir zu sehen, was später geschah. Das ist ein Grund, warum ich mich bemühe, nie an etwas zu denken, das einst eine meiner bedeutendsten Erinnerungen war.
Wenn ich mich auf die Erinnerung einlasse, ist es mir unmöglich, diesen Moment, in dem mein Kīla mich durch ihre große Sphäre mit der Göttin vereint hatte, wieder zu erleben, ohne auch zu jenem Tag, fünf Jahre später, zurückzukehren, an dem ich von einer Mission heimgekehrt war und meinen Tempel in Ruinen und meine Göttin ermordet vorgefunden hatte. Die eine Erinnerung zeigt mir die Sphäre im Herzen des Tempels, ganz und heil, Symbol der Ehe zwischen der Göttin und ihren Klingen, in der sie durch die Hochzeit von Stein und Stahl vereint sind. In der anderen ist die Sphäre geborsten, zerstört, ein gebrochenes Versprechen aus Stein, das gleich vor dem Tor des Tempels liegt. Die Kīlas herausgerissen und fortgetragen, um fortan zu Füßen des Sohnes des Himmels zu liegen.
Man hatte mir erzählt, die Dolche der wenigen überlebenden Schwertführer seien in die Rückwand des Aborts des Sohnes des Himmels gerammt worden, wo dieser jeden Morgen auf sie seine Notdurft verrichtet. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber ich weiß, dass in den letzten fünf Jahren etliche der überlebenden Meister bei dem Versuch gestorben sind, die verlorenen Kīlaszurückzuholen. Ich frage mich, ob der Sohn des Himmels ihre Klingen herausgezogen hat, als sie gestorben waren, um sie in die Tiefe platschen zu lassen. Auf gewisse Weise würde das eine obszöne Symmetrie bilden, nicht wahr?
Der Schmerz krampfender Muskeln holte meine Aufmerksamkeit zurück in das Hier und Jetzt. Ich schob die Erinnerungen für einen Moment beiseite und zwang mich, nur noch die Bibliothek und die Gegenwart zu
Weitere Kostenlose Bücher