Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)
Tage zweifele ich daran, dass die Götter so direkt intervenieren. Wäre Namara so mächtig gewesen, warum hätte sie uns dann als ausführende Hände benötigt? Nein, die Antwort lautet wahrscheinlich, dass Triss mir wie so oft ins Ohr geflüstert und meine Schritte in die richtige Richtung gesteuert hatte.
Meine Molle befand sich in einem Abstellraum unter dem Dach eines großen Hauses, nicht weit vom Palast entfernt. Es gehörte einem in Ungnade gefallenen Vicomte, der sich »aus gesundheitlichen Gründen« auf seine Besitzungen auf dem Lande zurückgezogen hatte. Mit anderen Worten, er war zu dem Schluss gekommen, dass es seiner Gesundheit zuträglicher sein dürfte, Abstand zwischen sich und den König zu bringen, dessen Unwillen er auf sich gezogen hatte. In dem Haus gab es in dieser Zeit nur eine Notmannschaft an Dienstpersonal, und der Raum, den ich mir zu eigen gemacht hatte, verfügte über sturmsichere Fensterläden und andere nützliche Winterschutzeinrichtungen.
Die nächsten paar Tage wandelte ich am Rande des Deliriums, erwachte nur dann und wann, um ein paar Efikbohnen zu kauen, die Triss mir reichte, und sie mit dem lauwarmen Wasser aus dem Schlauch hinunterzuspülen, den ich eine Woche zuvor dort versteckt hatte – ich hatte nicht genug Energie, die Bohnen anständig aufzubrühen. Ich hätte mich viel schneller erholt, hätte ich die Zähne in das Dörrobst oder das Trockenfleisch versenken können, dass ich zusammen mit dem Wasserschlauchhier deponiert hatte, statt all das Efik zu kauen, aber ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben schlicht keinen Appetit.
Ich fühlte mich schrecklich schwach und zittrig, als ich am vierten Tag schließlich beschloss, mich hinauszuwagen, doch mir waren in der Nacht zuvor die Bohnen ausgegangen, und ich brauchte das Efik mehr, als ich Alkohol jemals in späteren Tagen gebraucht hatte. Verbände um meine zerfetzte Wade zu wickeln war, als würde ich kochendes Wasser auf mein Bein gießen. Bis zu diesem Moment hatte Triss meine Wunden mit seiner Schattenmaterie umhüllt, einer der vielen Vorzüge, wenn man mit einem Finsterling verpaart war. Aus Gründen, die sich unserem Verständnis entzogen, kühlte und besänftigte diese Schicht aus dem Immerfinster so gut wie eine Schneepackung und schützte zugleich vor Wundbrand.
Als ich mich bereit fühlte, mich in Bewegung zu setzen, schlich ich hinunter ins Herrenschlafzimmer. Dort borgte ich mir einen Satz wundervoll geschneiderter, aber längst aus der Mode gekommener höfischer Kleider aus den Tiefen eines Kleiderschranks, der aussah, als wäre er seit dem vergangenen Jahrhundert nicht mehr geöffnet worden. Grüne und goldene Seide mit einem Muster aus Wassertigern und sich windenden Ranken, locker geschnitten, geeignet, sich jederzeit zu duellieren. Dazu gehörte ein schönes, wenn auch antiquiertes höfisches Kleid, das zweifellos der Dame des Hauses gehört hatte. Außerdem fand ich ein Paar übergroßer Reitstiefel, die über meine Verbände passten, wenngleich ich den zweiten Stiefel mit Lumpen ausstopfen musste, um ihn meinem Fuß anzupassen.
Sandalen oder leichtes, höfisches Schuhwerk wären, bedachte man das Wetter und meine übrige Kleidung, passender gewesen, doch ich wollte im Moment nicht öffentlich kundtun, dass ich ein übel aufgerissenes Bein herumschleppte. Nicht, nachdem ich so viel Blut und einen Stiefel im Palast hinterlassen hatte. Außerdem musste ich ja nur ein ausreichend jämmerliches Pferdstehlen, und schon würden Stiefel und aus der Mode gekommene Kleidung mir in Verbindung mit dem Tier eine ordentliche Tarnidentität als etwas rückständiger, bäuerlicher Vetter eines beliebigen Edelmannes verschaffen. Allerdings würde ich auch noch ein wenig mit Kosmetik arbeiten müssen, wollte ich irgendjemanden, der weniger als einige Meter von mir entfernt war, glauben machen, ich wäre ein Zhani-Edelmann.
Einen der Kaltblüter zu satteln und aus dem Stall zu führen stellte kein großes Problem mehr dar, nachdem ich den Strohhaufen auf der anderen Seite des Hauses in Brand gesteckt hatte. Mit Ausnahme meiner Schwerter packte ich alles in die Satteltaschen und hatte noch Platz übrig. Nachdem die Originalgefäße entfernt waren, glitten die Schwerter mühelos in ein Paar dicker Bambusgriffe, die ich speziell zu diesem Zweck angefertigt hatte.
Als ich auf die Straße vor dem Anwesen hinausritt und mich nach links in Richtung Palast wandte, zischte mir Triss leise ins Ohr.
»Wo willst du
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