Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)
mottenzerfressener alter Wolle zum Vorschein, das Mäuse und Ratten lauthals herbeizurufen schien, auf dass sie sich in ihm ein Nest erbauten.
»Triss?«
Schatten umhüllte meine Hände, als ich hineingriff, tastete ... da! Wenige Zoll unter der Oberfläche entdeckte ich einen Eisenring. Als ich daran zog und dabei den Zwischenboden voller Wolle zur Seite und aus dem Weg schob, kam eine dunkle Öffnung zum Vorschein.
Mit einem Bein tastete ich in der Öffnung herum, bis mein Fuß auf das obere Ende einer Leiter stieß, die in die Wand hinabführte. Ein weiterer Eisenring zog den Zwischenboden über mir wieder zurück an seinen Platz, während eine längere Stange, die mit den Scharnieren verbunden war, den Deckel der Truhe schloss. Die Leiter führte etwa zwölf Fuß in die Tiefe bis zu einer breiten Planke, die lose über den Bodenbrettern lag. Ich nahm die kleine Diebeslampe aus meinem Trickbeutel und sah mich in dem dumpfen, roten Lichtschein um. Ich befand mich in einem schmalen Raum zwischen den Wänden, der links von mir in einer Sackgasse endete und auf der rechten Seite in einen schmalen Durchgang mündete.
Alle paar Meter gab es Lücken in den Planken, unter denen weitere Bretter an den Balken gleich über den Decken der darunterliegenden Räume montiert worden waren und es einem Eindringling gestatteten, in eben diese Decken hineinzukriechen. Vermutlich waren über einige dieser Einstiege weitereGänge in den Wänden erreichbar. Alles in allem sah es ganz nach dem typischen Wegenetz der Bespitzelungs- und Mordsorte aus.
»Triss, kannst du um die Wände herumschlüpfen und nachprüfen, ob es irgendwo in der Nähe Licht oder Geräusche gibt?«
Der Schatten eines Drachen erschien an der Wand, und Triss nickte einmal, ehe er sich ausdehnte wie eine Schlange und hinunter in die Tiefe eines der Löcher im Boden glitt. Er war kaum fort, da kehrte er auch schon zurück, schüttelte den Kopf und versuchte es an einer anderen Stelle erneut. Beim vierten Versuch fühlte ich ein kurzes Zucken in dem Schatten, der mich mit ihm verband. Er hatte etwas entdeckt. Ich schloss die Lampe, bückte mich, schlüpfte ebenfalls in das Loch und scharrte dabei mit dem immer noch nicht verheilten Rücken am Fuß der Wand entlang.
Verdammt, tat das weh! Die Zähne zusammengebissen, um nicht laut zu fluchen. Ich krabbelte los, was meinem arg missbrauchten Körper äußerst schwerfiel, schwerer als die vorangegangene Kletterei und die Sprünge von Dach zu Dach. Vielleicht, weil Klettern und Springen ein Teil meines Alltags als Löhner waren.
Ich passierte einen weiteren geheimen Gang über mir und eine andere Decke, ehe ich durch eine Lücke gleich hinter der nächsten Wand Tageslicht erblickte. Es drang an der Kante einer kleinen Schiebetür im Boden hervor. Als ich sie ein Stück weit bewegte, konnte ich etwa drei Viertel eines großen Raums erkennen, vermutlich ein ehemaliger Audienzsaal. Aus dem Winkel und den Beschränkungen meines Blickfelds schloss ich, dass das Guckloch in der Stuckverzierung am Rand der Decke verborgen war, eine Entdeckung, die der professionelle Teil meines Hirns machte und speicherte – ganz unabhängig vom emotionalen, der sich einem gänzlich anderen und drängenderen Schwerpunkt verschrieben hatte.
Maylien! Sie wies eine Anzahl kleinerer Schnittwunden und ein wahrlich spektakulär blaues Auge auf, aber sie lebte. Sie saß missmutig an der Wand, ganz in der Nähe des schmutzigen Ostfensters, durch das das Licht hereindrang. Sie trug ein weites Hemd und etwas, das aussah wie eine Mischung aus einem Hosenrock und einer weit geschnittenen, locker fallenden Hose. Ihre Kleidung erinnerte an die Duellgewänder der Edelleute, war aber aus einem rauen Stoff gefertigt, wie ihn sonst nur Bauern trugen. Allzu sehr unterschied sie sich nicht von dem, was ich am Leib hatte.
Sie war an Händen und Füßen festgekettet. Und sie trug den mörderischsten Ausdruck im Gesicht, den ich je in den Zügen einer Frau gesehen hatte, seit Siri, als sie auf den Hohen Khan von Avars angelegt hatte, ihr Ziel verfehlt hatte, nachdem wir bereits eine ganze Woche mit den Vorbereitungen beschäftigt gewesen waren. Der Khan war alt geworden und im Schlaf gestorben – der Mistkerl.
Vielleicht zehn Fuß links von Maylien lümmelte sich ein Mann herum, die Füße auf einem verschrammten Eichentisch abgelegt. Eine seiner Hände lag in der Schlinge eines Zugseils. Das Seil wiederum lief über den Tisch und war mit einer sehr
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