Die zerborstene Klinge: Roman (German Edition)
irgendjemand im Haus oder auf dem Gelände bewegte. Das war einer der Vorteile eines Hauses unter Assassinenführung. In einem normalen großen Haus wäre das Küchenpersonal zu dieser Zeit zweifellos bereits damit beschäftigt, das Frühstück zu bereiten. So mochte es hier auch sein – das war nicht erkennbar, denn die großen Häuser hatten samt und sonders keine Fenster unterhalb des ersten Obergeschosses – aber die Wahrscheinlichkeit war deutlich geringer.
Ich konnte nur zwei Türen sehen, beide im direkten Blickfeld diverser Wachposten, eine Beobachtung, die mein ursprüngliches Dilemma erneut aufbrachte. Reingehen oder weggehen? Das Problem war, dass ich nicht wusste , ob Maylien dort drinnen war. War sie es nicht, so wäre ein Einbruch in ein unbekanntes großes Haus unter diesen Bedingungen ungemein dumm. Möglicherweise an der Grenze zum Selbstmord. War sie drin, konnteich das »dumm« streichen. Die selbstmörderische Komponente ließ sich allerdings nicht wegdiskutieren.
Das Komische war, dass ich, wäre dies eine Mission im Auftrag der Göttin gewesen, in diesem Moment gegangen war. Das mag nicht eingängig erscheinen, aber es gehört einfach zum Job.
Verstand kommt vor dem Herzen.
Namara lehrte ihre Schwertführer, ihre Aufträge professionell auszuführen, nicht emotional. Das bedeutete, dass man Risiken und Chancen ehrlich abwägen und häufiger seiner Wege gehen musste, als Ihr vielleicht denkt.
Auf der Rückzugsseite lagen der Elitehauptmann und sein Hund auf dem Tisch, ein gewichtiges Argument, auch ohne die Krongardisten. Zudem musste ich die zugegebenermaßen unwahrscheinliche Möglichkeit bedenken, dass sie doch nicht wegen Devin hier waren. Wenn sie aber wegen ihm hier waren – wie ich vermutete –, so gab es eine recht gute Chance, dass sie mein Devin-Problem für mich aus der Welt schaffen würden. Und möglicherweise auch mein Maylien-Problem, wenn sie sich entschließen sollten, alle Gefangenen in der Gewalt ihrer Zielperson einfach freizulassen.
Das hatte ich nun also gegen das Argument abzuwägen, dass für mein Eindringen in das Haus sprach. Maylien könnte dort drin sein. Sie könnte noch am Leben sein. Und ich sah kaum eine Möglichkeit, sie, sollte das alles zutreffen, in einem Stück an Krongarde und Elite vorbeizuschleusen.
Das ist die Stelle, an der man normalerweise von dannen zieht, wenn man die Dinge professionell betrachtet. Emotional andererseits ... Maylien hatte mir das Leben gerettet. Wichtiger noch, sie hatte Triss das Leben gerettet. Ich schuldete ihr, was immer ich nur geben konnte. Außerdem kam ich immer wieder auf den Umstand zurück, dass Oberst Deem von einer königlichen Baronin unter Druck gesetzt wurde. Einer Baronin, deren Name aller Wahrscheinlichkeit nach Sumey Marchon lauteteund die es zweifellos vorziehen würde, wenn Maylien in der Hitze des bevorstehenden Gefechts den Tod fand.
Aber wen wollte ich eigentlich hinters Licht führen? Natürlich würde ich reingehen. Die wirklich wichtige Frage lautete, wie. Der Elitehauptmann hatte seine Truppen wohl platziert. Das Einzige, was die Sache zumindest entfernt möglich erscheinen ließ, war die Tatsache, dass ich wusste, wo sie waren, und der Umstand, dass sie ihre Position vorwiegend nach dem Gesichtspunkt gewählt hatten, sich selbst gut zu verbergen, weniger, um einen perfekten Blick zu bekommen. Sie konnten es sich nicht leisten, ihre Zielperson in die Flucht zu schlagen, und bei einer Zielperson, die sich unsichtbar machen konnte, bedeutete das, dass sie äußerst konservativ vorgehen mussten.
Eine halbe Stunde nachdem ich mir eingestanden hatte, dass ich es versuchen musste, huschte ich über das Bleidach in eine sonderbar geformte Senke, die von den nahen Überkreuzungen diverser Dachsegmente eingerahmt wurde. Solange ich mich klein genug machte, würden mich die unzähligen Teile steiler, schräg verlaufender Bleiflächen vor den Blicken der Beobachter am Boden verbergen.
Inzwischen war die Sonne aufgegangen, aber noch nicht weit genug, dass ich sie über die Dächer hinweg hätte sehen können. Der Gedanke, ich könnte Geräusche verursachen, machte mich immer noch nervös, aber ich musste meinen Vertrauten wissen lassen, wo wir standen. Außerdem musste ich ihm eine Möglichkeit offerieren, mir meinen verrückten kleinen Plan auszureden, denn bisher war es mir nicht möglich gewesen, meine Schattenhülle abzulegen, um ihn zu Rate zu ziehen. Nun entließ ich Triss aus meinem Griff,
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