Die Zerbrechlichkeit des Gluecks
verantwortungsvoll zu erschließen, mit einer Top-Uni, die dem Streben nach Wissen und Erkenntnis verpflichtet ist. Mit viel Engagement, Mike. Mit dem Blick auf Bewahrung und Förderung der bereits vorhandenen Community. Das meiste gehört uns doch sowieso schon, ist marode und verschandelt – ich hab schon dafür gesorgt, dass es marode ist. Wir haben keine Mietverträge verlängert. Wir haben die Hälfte des Parkgaragenraums zugemacht – um ihn übrigens für Uni-Mitarbeiter bereitzuhalten –, wir haben Mietwohnungen geräumt, die illegal besetzten Lofts in Flussnähe. Das Fußgängeraufkommen liegt inzwischen unter null. Wir verwandeln also ein marodes, verschandeltes Stadtviertel in eine Universitätsstadt. So ist der aktuellste Stand, und so soll es dargestellt werden. Wir sind in Manhattanville in einer Randlage, nicht im Herzen von Harlem – das wäre historisch viel zu bedeutsam, ein viel zu heißes Pflaster. Wo wir sind, juckt das alles nicht. Mit uns an der Seite kommen neue Geschäfte ins Viertel, werden Arbeitsplätze geschaffen, die Sicherheit erhöht, Dienstleistungen erbracht – Sie wissen doch, wie das abläuft, Mike. Mit uns sind die doch viel besser dran, als wenn irgendwelche Baufirmen blindwütig drauflosspekulieren. Das sind in groben Zügen die Kernpunkte, die können Sie je nach Bedarf ja noch aufpeppen. Ich stehe gerne beratend zur Seite, bis ich wieder im Büro bin.«
Er kommt sich vor wie ein Gebrauchtwagenhändler, was ihn ein wenig wundert, denn er glaubt wirklich an das, was er sagt. Richard weiß, dass er an das glaubt, was er sagt.
Der Verwaltungschef hat ihn gebeten, »eine kurze Pause einzulegen«. »Familienurlaub«, sagt er am Telefon. »Gar nicht lang, Richard. Eine Woche, vielleicht zwei, maximal. Einen Monat, höchstens. Was eben sein muss.«
Er hat keine andere Wahl, als den Vorschlag zu akzeptieren. Eine Gehaltskürzung wird es nicht geben. Manhattanville bleibt weiterhin seine Show. »Sie können die Dinge aus dem Hintergrund deichseln …«, sichert der Verwaltungschef ihm zu.
Die Sache ist die: Sie wollen vermeiden, dass irgendein Schatten auf dieses Großprojekt fällt. Dazu ist es für die Zukunft der Universität viel zu wichtig. Und ein »Sexskandal« mit seinem Sprössling, wo Richard doch auf die Kinder im Viertel Acht geben soll, das ist nicht das Image, das die Uni einer nervösen Community vermitteln will. Steven Schwartz, dieser Blödmann, hat dazu schon einen Blog angefangen. Der Verwaltungschef sagt: »Dieser Text von Schwartz, da liegt der Hund doch begraben.« Dann zitiert er Schwartz: »›Wollen Sie etwa diesem Mann die Leitung der Schule Ihrer Kinder übertragen, wenn er nicht mal seinen eigenen Fünfzehnjährigen im Griff hat?‹ Das ist Gift, Richard. Genau das, was wir nicht brauchen können. Außerdem ist es ein gefundenes Fressen für die Klatschpresse. Gott sei Dank sind Sie mit Ihrer Familie noch nicht namentlich genannt. Trotzdem, die New York Post zieht darüber her! Das teure Schulgeld! Die Klatschpresse liebt dieses Thema – wie viel Privatschulen kosten. Aber Bert Anderson auch? So in aller Öffentlichkeit ausgebreitet? Andersons Jüngster geht noch auf die St. David’s, seine drei Mädchen haben auf der Spence den Abschluss gemacht. Der will bestimmt nicht, dass das jetzt kurz vor knapp alles aufgewirbelt wird. Der will doch nicht als Geldsack dastehen, ausgeschlossen.«
Die Sache hat eine gewisse Logik, das begreift Richard schon. Obwohl es lächerlich ist, die Sache einen Sexskandal zu nennen – das Mädchen hat das Video schließlich selbst gemacht. Das würde er am liebsten ins Telefon schreien. Jake hat das Scheißding bloß weitergeleitet. Er kann nichts dafür. Eigentlich nicht. Und sie sind auch keine schlechten Eltern. Es war vielleicht nicht gerade die Art von Verhalten, die sein Vater von ihm erwartet hätte – »Man behandelt Mädchen stets ehrenhaft«, hatte Dad immer gesagt. »Mit Respekt.« Hatten er und Lizzie Jake nicht dasselbe beigebracht, wenn auch anders ausgedrückt? Hatten sie nicht gesagt: » Safe Sex , und am besten mit einer, die du auch liebst«? Sein Sohn war kein schlechter Kerl, er war in dem einen Moment einfach dumm gewesen. Okay, er hatte das Video seinem besten Freund geschickt – um sich helfen zu lassen. Was hatten denn Schulgebühren damit zu tun? Es war nicht deshalb passiert, weil die Kids Geld hatten. Es war passiert, weil sie über den Zugang zu einem Computer verfügten. Und wie um alles
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