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Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Schulman
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Vertraulichkeit nicht mehr.«
    Richtet er sich damit an Jake oder an Lizzie? Dieser Blick macht Richard noch ganz wahnsinnig. Es ist die optische Entsprechung von Fingernägelkratzen auf einer Schiefertafel und macht es unmöglich, mit O’Halloran in Kontakt zu treten. Am Telefon konnte Richard besser mit ihm umgehen. Er verspürt plötzlich den Drang, irgendetwas kaputt zu schlagen, eine Lampe oder eine von den chinesischen Schmuckschalen, die in der Tischmitte aufgereiht stehen.
    Jake nickt, er wirkt wie vor den Kopf geschlagen, als würde er gar nicht recht begreifen, wovon O’Halloran überhaupt redet. Richard bezweifelt, dass sein Sohn je über den Begriff Vertraulichkeit nachgedacht hat.
    Auf der Taxifahrt nach Hause redet Lizzie ununterbrochen auf Richard ein. Jake sitzt am offenen Fenster, hält das Gesicht in den Wind wie ein Hund, wie ein Golden Retriever vielleicht, der Mund leicht geöffnet, die Zunge rosa.
    »Also, was meinst du?«, fragt Lizzie. »Hat er dir gefallen? Mir hat er gefallen, glaube ich jedenfalls.« Sie scheint sich nicht so sicher.
    »Er soll gut sein«, sagt Richard. »Der Beste.«
    »Ich weiß, aber diese Augen – die haben mir richtig Angst gemacht. Was ist damit? Als wäre er blind oder so.«
    Richard kann es sich auch nicht erklären.
    Lizzie fasst sich ins Haar, Lockenbüschelchen fliegen ihr aus dem Haarknoten. Sie versucht, sie wieder festzustecken.
    »Was glaubst du, wieso er uns diese Geschichte erzählt hat?«, überlegt Lizzie. »Wollte er vielleicht den Schamfaktor reduzieren? Oder vergrößern? Gibt es eigentlich noch so etwas wie einen Schamfaktor, Richard? Oder hat das Internet das alles kaputt gemacht? Also, wenn alles Private öffentlich wird, ist es dann überhaupt noch demütigend?«
    »Kommt drauf an, ob die Handlung an sich anstößig ist, Lizzie.«
    »So wie diese ›Furries‹?« Sie hört ihm gleichzeitig zu und auch wieder nicht. So ist sie manchmal. Er stellt sich ihren Kopf als alte Scheune vor, ihre Gedanken als Schwalben, die den ganzen Tag herein- und herausschießen.
    »Furries?«, fragt Richard.
    »Du weißt schon, diese Leute, die sich als Plüschtiere verkleiden, um Sex zu haben « – bei den letzten drei Wörtern bewegt sie bloß stumm die Lippen, aber Jake starrt immer noch aus dem Fenster. »In dem Artikel in Vanity Fair ! Das globale Netzwerk hat sie befreit, Richard. Jetzt können sie einander finden. In Chatrooms. Die halten Konferenzen ab und solches Zeug. Ist dadurch das, was sie tun, anstößig? Oder einfach nur schräg? Wenn es so viele von ihnen gibt, ist es vielleicht gar nicht so schräg?«
    »Wie Pädophile?«, fragt Richard. »Der Zweck des Schamgefühls besteht darin, gefährliches Verhalten einzuschränken.«
    Sie sitzt auf der kleinen Erhebung in der Mitte des Taxis, die Knie aneinandergepresst, die Füße zu beiden Seiten des Mittelteils, und beugt sich über Jake, um die Scheibe ein wenig hochzukurbeln. »Entschuldige, mein Schatz, aber mir zieht es zu sehr.«
    Jake lehnt sich zurück, das Fenster jetzt halb geschlossen, und starrt auf die vorüberziehenden Straßen hinaus.
    »Glaubst du, O’Halloran wollte einfach witzig sein?« Lizzies Gedanken drehen und wenden sich wild im Flug. »Glaubst du, er wollte irgendeinen Draht zu Jake finden?« Wie zur Bekräftigung tätschelt sie Jakes Schulter. »Glaubst du, er meinte damit, ›Jungs sind nun mal so‹? Glaubst du, er meinte es sexistisch?«
    Selbst bei nur leicht geöffnetem Fenster bläst die Zugluft ihr Haar wieder durcheinander. Ein Strähnchen gerät ihr in den Mund. Ungehalten schiebt sie es mit einem nervösen Fingerspiel beiseite.
    »Glaubst du, er kann das für uns wieder in Ordnung bringen?« Sie lässt sich gegen die Rückenlehne fallen und schließt die Augen.
    Jake sieht überhaupt nicht aus, als würde er zuhören, auch seine Augen sind geschlossen, sein Mund steht offen. Er sieht aus wie bekifft.
    Die Augen immer noch zu, sagt Lizzie: »Ich möchte bloß wissen, was uns das alles kosten wird, Richard?«
    »Passen Sie auf«, sagte Richard am Telefon zum Verwaltungschef der Universität, »der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten. Wenn wir Manhattanville nicht erschließen, wird es eben anderswie erschlossen. Von den Immobilienhaien. Ganz Manhattan ist zugebaut, und hier gibt’s diese riesige Fläche. Ein gefundenes Fressen! Die Leute, die dort wohnen, werden sowieso irgendwie rausgeschmissen. Manche jedenfalls. Da wäre es doch besser, die Gegend

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