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Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Schulman
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in der Welt sollte man ihnen heutzutage verdammt noch mal den Zugang dazu verweigern?
    Doch es ist lächerlich, diesen Kampf jetzt auszufechten, denn Richard wird verlieren, er begreift, dass er verlieren wird, es ist also sinnlos, seinen Standpunkt darzulegen. Besser, er hält sich für ein, zwei Wochen bedeckt, bis Jake entlastet ist, oder was auch immer. Bis es aus der Presse verschwunden ist. Aber wie soll er es aus dem Internet kriegen? Es müsste da doch einen Service geben, der solche Sachen einfach heraussaugt. Er würde sich informieren. Bis die Schule sich endlich so verhält, wie eine Schule sich zu verhalten hat. Bis die juristischen Fragen geklärt sind – wann wird das sein? Bis die Familie des Mädchens unter Schimpf und Schande wegzieht, so wie es die Familien halbwüchsiger Mädchen schon immer mussten. Am Vorabend hatte Lizzie halb im Scherz gesagt: »Kennen die denn ihre Rolle nicht?« Richard hat eine ganz klare Vorstellung von dem, was er zu tun hat: seinen Sohn retten. Um sich selbst zu retten, muss er zumindest vorläufig den Job aufgeben, den er so liebt.
    »Schon kapiert, Mike. Danke, dass Sie so offen zu mir sind. Ich melde mich«, sagt er. Dann legt er auf.
    Für einen Drink ist es zwar noch zu früh am Tag, doch Richard genehmigt sich trotzdem einen. In seiner untersten Schreibtischschublade bewahrt er eine Flasche Laphroaig auf, einen Scotch für späte Abendstunden, für Siegesfeiern, für ab und zu. Er greift in die Schublade, holt Flasche und Glas hervor und schenkt sich zwei Fingerbreit ein. Irgendwie schon erstaunlich, dass er so lange gebraucht hat, endlich das zu tun, was er jetzt gleich tun wird.
    Nicht, dass er nicht neugierig wäre.
    Richard geht hinaus ins Vorzimmer, macht die Tür zum Fakultätsbüro zu und schließt ab. Dann geht er wieder in sein Büro und schließt von innen ab. So etwas geht zu Hause nicht, und bei der Arbeit hat er es bisher immer vermieden, aber bald wird Richard kein Büro mehr haben, und seine Assistentin ist gerade weggegangen – die Glückliche hat einen Termin beim Zahnarzt. Da die Tür abgeschlossen ist, wird ihn niemand stören. Inzwischen tut er allen viel zu sehr leid, als dass sie ihm auf die Pelle rücken würden. In letzter Zeit sind sie alle ausnehmend höflich und formell, gehen ihm vorsichtig aus dem Weg.
    Richard holt seinen Laptop hervor – ausgeschlossen, das Ding auf seinen Desktop herunterzuladen. Er hatte das Video gleich am ersten Abend nach dem Nachhausekommen heruntergeladen, bevor es von diversen Seiten gelöscht wurde, bevor es online und offline unter der Rubrik Kinderpornografie auftauchte, illegal, schon das Anklicken eine kriminelle Handlung. Er hatte sich aber noch nicht dazu durchringen können, das Ding tatsächlich anzuschauen. Lizzie hatte es sich angeschaut. Im Büro des Schulleiters, an ihrer Seite Jake – diesen kleinen Leckerbissen hatte O’Halloran sehr goutiert. Was für ein eklatanter Mangel an Urteilsvermögen seitens des Direktors! Und dann abends zu Hause immer und immer wieder auf ihrem Computer. Sie kam einfach nicht darüber hinweg und erzählte Richard jede obszöne kleine Einzelheit: der enthaarte Schambereich, die Babyspeckröllchen – »wie die Oberseite von einem Muffin«, drückte sie sich aus. Ihm war, als hätte er die Vorstellung bereits gesehen. Doch aufgrund einer ganz speziellen, etwas verqueren Auffassung von Ehre brachte Richard es einfach nicht über sich, das Video einzuschalten. Daisy hatte es für Jake gemacht, nicht für ihn.
    Jetzt, wo Richard schon so viel riskiert und verloren hat, erscheint es ihm einfach angebracht zu verstehen, wozu das alles gewesen war.
    Er sitzt an seinem Schreibtisch. Er nippt an seinem Scotch. Er klickt die Datei an.
    Es beginnt.
    Das weißblond gefärbte Haar, die gepiercten Ohren, das Mini-Schottenröckchen, die Mischung aus Schulmädchen und Nutte. Die spöttische Frage. »Findest du immer noch, dass ich zu jung bin?« Er weiß, was ihn erwartet, er wurde ja vorab informiert. Natürlich ist sie zu jung. Ein Kleinkind, embryonal. Die winzigen Brustknospen, der hochgehobene Rock, ein Schlitz und zwei fast noch kindliche Wülste. Vielleicht hatte sie sich überhaupt nicht rasiert oder gewachst, überlegt Richard völlig absurd, vielleicht ist sie einfach noch nicht voll entwickelt. Seine Gedanken wenden sich seiner eigenen Tochter zu. Die kleine Coco: urwüchsig, unbezähmbar, unbekümmert, wild. Von Haus aus nicht gerade mit großem Urteilsvermögen

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