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Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Schulman
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Das weiß er. Er braucht die Hilfe seines Vaters. Da ist ein Teil von ihm, zu dem niemand, auch nicht er selbst, Zugang hat. Könnte sein Vater ihm helfen, wenn er noch leben würde? Liegt es an jenem fehlenden Teil von Richard, dass Jake so ahnungslos aufgewachsen ist? Oder war Richard, wie Lizzie behauptete, viel zu streng mit Jake? Waren seine Erwartungen an Jake und an sich selbst lächerlich? Richard ist zwar ein erwachsener Mann mit Kindern, wünscht sich aber so sehnsüchtig, er könne mit seinem eigenen Vater reden. Ihn um Rat fragen. Was haben sie bei Jake falsch gemacht? Was sollte er jetzt tun, um ihm zu helfen? Wie kann er sich dieser Situation gewachsen zeigen und seine Elternrolle so erfüllen, dass sein eigener Vater stolz auf ihn wäre? Er legt den Hörer auf. Die Nummer gilt nicht mehr. Seltsamerweise wurde sie nie neu vergeben.
    Der BlackBerry summt. O’Halloran.
    »Beim Justitiar von der Wildwood bin ich nicht weitergekommen«, sagt der Anwalt, schenkt sich die Begrüßung. »Wir machen also den Erstschlag und unternehmen einleitende Schritte zu einer Klage. Wildwood hat Jacob willkürlich und ohne Not wegen eines Zwischenfalls relegiert, den er weder provoziert noch erbeten hat, der sich außerhalb des Schulgeländes und am Wochenende ereignete, in der unterrichtsfreien Zeit. Das ist eine private Angelegenheit, die die Schule in unverantwortlicher Art und Weise öffentlich gemacht und Jacob dadurch irreparablen Schaden zugefügt hat. Ich werde verlangen, dass Wildwood jeglichen Hinweis auf den Skandal aus seiner Schülerakte tilgt und ihn unverzüglich und voll rehabilitiert wieder aufnimmt und ihm außerdem die angemessene Unterstützung angedeihen lässt, damit er das Verpasste nachholen und seine Prüfungen pünktlich ablegen kann.«
    »Okay«, sagt Richard bedächtig. »Klingt gut.«
    »Und falls die Leute von dem Mädchen klagen, strengen wir eine Gegenklage wegen Verleumdung und Provozieren einer strafbaren Handlung an. Ich habe mich ein bisschen umgetan, Richard: Ihr alter Herr stinkt vor Geld. Der hat mit Designerlabels ein Vermögen gemacht. Calvin Klein. Ich will denen ja beileibe keine Klage vor den Latz knallen, aber eins kann ich Ihnen sagen: Möglicherweise springt da für Jacob ein hübscher Batzen fürs College raus.«
    »Wow, Sean, also, ich weiß nicht«, sagt Richard.
    »Dem Jungen wurde Unrecht getan, Richard.«
    »Ja, aber …«, wendet Richard ein.
    »Sie sind der Vater des Jungen. Sie werden doch wohl alles tun, um Ihren Sohn zu schützen. Ich kann Ihnen sagen, es ist besser, die Initiative zu ergreifen, als dumm rumzustehen und den Kürzeren zu ziehen.«
    O’Halloran ist noch nicht fertig. »Gut wäre es sicherlich, wenn jemand aus Ihrem Umfeld unsere Sicht der Dinge dem Observer oder der New York Post weitergeben könnte, hinter Ihrem Rücken, ohne Ihre Genehmigung natürlich, Sie wissen schon – die Sache, dass der Knabe und seine Mutter das Video zusammen anschauen mussten –, eine entsetzliche Fehlleistung des Schulleiters übrigens, schandbar peinlich. Sie verstehen, was ich meine?«
    Richard versteht. Ein Schuss vor Threadgills Bug.
    »Sie lieben Ihren Jungen doch, Richard«, sagt O’Halloran. »Sie würden alles für ihn tun.«
    Das ist alles wahr.
    Richards Vater liebte ihn auch. Dad war ein Familienmensch gewesen. Und ziemlich bodenständig. Dad konzentrierte sich nicht total auf ihn, verhätschelte ihn nicht, half ihm nicht bei den Hausaufgaben oder musste unbedingt drei Mal am Tag bei ihm Fieber messen oder all das tun, was Richard und Lizzie heute tun. Dad liebte seine Jungs in einem vernünftigen Rahmen. Dads Liebe war eine vernünftige, bedingte Liebe, und die Bedingung war, dass Richard keinen Ärger machte, stets sein Bestes gab und sich anständig aufführte.
    Richard und Lizzie und die Eltern des Mädchens und all die anderen Eltern in der Schule – sie sind einesteils zu nah an ihren Kindern dran und gleichzeitig viel zu abgehoben. Sie sind zu perfekt. Sie haben zu viel angestaut. Sie erwarten zu viel. Sie verlangen zu viel. Ja, sie lieben ihre Kinder zu sehr. Diese Liebe ist auf eine Art regelrecht lähmend.
    Ein ehemaliger Mitbewohner aus Princeton ist inzwischen Redaktionschef bei einer führenden Wochenzeitschrift. Er wird genau wissen, wo und bei wem man diese Geschichte durchsickern lassen könnte, gegenüber irgendeinem Praktikanten oder Jungreporter. Einem, der skrupellos, verbissen und blutrünstig ist.
    Das ist New York! Da fährt jeder

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