Die Zerbrechlichkeit des Gluecks
er kam in Rachels Gesicht, spritzte ihr über die Wange, und etwas davon landete hinter ihrem Ohr, in ihrem wunderschönen Engelshaar.
Irgendwie hasste Jake sie in dem Moment und später auch noch, als sie ihn anlächelte.
Kapitel 6
S o sehr er das öffentliche Spektakel draußen vor der Wildwood beim Hinbringen hasst – »wie auf dem Marktplatz am Pranger«, sagte Lizzie, als sie ihm die unangenehme Aufgabe übertrug –, hält Richard sich doch recht wacker. Er wartet, die nackten Beine in Laufshorts, das Astor-University-T-Shirt für alle sichtbar zur Schau getragen, bis Coco wohlbehalten im Gebäude verschwindet. Sie hatte sich seinem Griff entwunden und war aufgeregt die Straße hinuntergerannt, als sie einige ihrer kleinen Freunde vor der roten Eingangstür herumwuseln sah, die genau in dem Moment aufging, und hatte ihrem Vater bloß einen flüchtigen Abschiedsgruß hingeworfen. Zum Glück kann sie es kaum erwarten, zur Schule zu gehen, denkt Richard. Dafür sollte er dankbar sein.
»Hallo, Richard«, grüßt ihn eine Frau mit rötlichem, zum Pferdeschwanz zusammengebundenem Haar und dem schrumpeligen Gesicht einer Rosine. Sie trägt Yogahosen und ein ärmelloses Top. Alle Mütter sind beim Hinbringen im Fitness-Outfit, einer Art von Uniform, ausgenommen diejenigen, die ganz offensichtlich auf dem Weg zur Arbeit sind. Die tragen helle Kostüme und Pumps, Hosen und weiße Blusen und flache Schuhe. Einige haben bereits ihre Handys gezückt. Eine redet wie eine Irre vor sich hin in die Luft, bis Richard den verräterischen Ohrstöpsel am langen Kabel entdeckt, das sie wie durch eine Nabelschnur mit ihrem Smartphone verbindet. Ein paar Väter im Anzug sind auch dabei, Richard ist das einzige männliche Wesen in Laufshorts. Die Mutter, die ihn gegrüßt hatte, lächelt ihn an, also lächelt er zurück. Es ist offensichtlich die richtige Reaktion.
»Guten Morgen«, sagt Richard. Sein Ton ist freundlich, obwohl er keinen Schimmer hat, wer sie ist. Dann beugt er sich vornüber, um seine Zehen zu berühren. Er richtet sich auf, hebt die Hände über den Kopf und lehnt sich in einer kleinen Dehnung zurück, als wollte er zum Rückwärtssprung ansetzen. Er wippt auf den Fußballen, senkt die Fersen abwechselnd am Randstein nach unten und trippelt ein paarmal kurz hintereinander, um die Achillesferse zu dehnen. Dann winkt er der rothaarigen Mutter kurz zu und startet los. Er beginnt immer erst langsam, springt vom Bürgersteig auf die Straße, um die Muskeln in der Vorbereitungsphase aufzuwärmen. Er läuft neben dem stockenden Verkehr einher – den SUVs, Taxis, Limousinen mit Chauffeur. Auf dem Bürgersteig ist es zu voll, lauter vornübergebeugte, küssende Eltern, ermahnende Eltern, die den Kids mit vergessenen Schulaufgaben hinterherjagen, mit dem Rucksack, den sie mitgeschleppt haben und nun ganz in Gedanken fast mit zur Arbeit genommen hätten. Dicke Kindermädchen verteilen vollbusige Umarmungen. Eine Szenerie wie beim Auslaufen eines Kreuzfahrtschiffs, denkt Richard. Weiter vorn lockt der Park mit kühlem, grünem Laubwerk und würziger Luft. Er wartet ab, bis er die Fifth Avenue überquert und sich zwischen Autos und Bussen hindurch auf die andere Seite geschlängelt hat, und schaut erst auf die Uhr, als er auf seiner Laufstrecke im Park ist. Er hat vor, zwei Runden zu drehen. In letzter Zeit läuft er morgens meistens drei bis vier Runden. Diese Geschichte mit Jake hat bloß eine positive Seite gehabt: Richard hat seine Zeit wirklich sehr verbessert. Seit zehn Tagen geht er nun wieder zur Arbeit, hat das Laufen aber beibehalten. Er arbeitet hinter den Kulissen. Offiziell hat sein Stellvertreter immer noch das Sagen, obgleich Richard alle Entscheidungen trifft. Für heute sind mehrere Besprechungen anberaumt. Bei dem Gedanken fängt sein Herz an zu rasen. Er muss nach Hause, duschen, sich umziehen. Er muss Sakko und Krawatte anziehen. Zwei Runden, dann läuft Richard über die Wege auf der anderen Seite des Parks zur Wohnung zurück. Das Laufen hilft ihm, seinen Frust und seine Unruhe zu bekämpfen. Er fragt sich, ob Lizzie schon aufgewacht ist. Er hofft es, und er hofft es nicht. Er hofft es, denn wenn sie wach ist, wach und mit der Erledigung von diversen Dingen beschäftigt, dann ist ihre ungute Stimmung vielleicht verflogen. Aber wenn sie wach ist, ob beschäftigt oder nicht, wird er sich mit ihr befassen müssen. Zum ersten Mal im Leben ist Richard es leid, sich mit seiner Frau befassen zu
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