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Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Die Zerbrechlichkeit des Gluecks

Titel: Die Zerbrechlichkeit des Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Schulman
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den Rauch ein, legte dann den Kopf zurück und offenbarte dabei ihren langen, goldenen Hals, während sie den Rauch in den Himmel blies. Damit er ihn nicht in die Augen bekam.
    »Es tut mir leid«, sagte Jake.
    »Wieso entschuldigst du dich bei mir? Find ich irgendwie komisch.«
    »Wie meinst du das?«, fragte er.
    »Na, du hast ja Daisys Leben verpfuscht, nicht meins.«
    »Das wollte ich nicht«, sagte er. »Ich hab sie nicht drum gebeten, es zu machen oder mir zu schicken.«
    »Ist doch egal! Es gibt ’ne Menge Dinge, um die man nicht bittet …«
    Sie schwiegen eine Weile. Ihm schwirrte der Kopf. Er wusste nicht, wie er sich ausdrücken sollte oder wie er an sie herankommen konnte. Er suchte nach irgendeinem geeigneten Mittel.
    »Ich bin nicht so gut damit umgegangen«, sagte Jake langsam und, wie er hoffte, ganz schlicht. »Ich weiß, das war … das war … das war unritterlich von mir.«
    »Unritterlich?«, wiederholte Audrey. Sie schien das Wort – ihr Wort – fast ein wenig höhnisch auszusprechen. »Unritterlich? Das ist untertrieben«, sagte sie. Nach einem letzten Zug warf sie die Zigarette ins dichte grüne Gras und trat sie mit dem Fuß aus. Dann hob sie den Stummel auf und steckte ihn in das Täschchen in ihrem schwarzen Sweatshirt. Sie zitterte, obwohl es gar nicht kalt war, zog das Sweatshirt aber nicht an. Stattdessen überkreuzte sie die Beine auf der Bank zu einem angedeuteten Lotussitz.
    Sie sah Jake direkt in die Augen. Ihre waren tintenschwarz, und sie hatte sie mit schwarzem Lidstrich umrandet. Wimpern, Lidstrich, Pupille – alles in derselben Farbe. Die Haut auf ihren Wangen schimmerte golden, als hätte sie wie manche Mädchen dieses Glitzerzeug aufgetragen, hatte sie aber offensichtlich nicht. Ihre Lippen waren bleich, sie hatte den Lippenstift weggekaut, sogar jetzt im Mai waren sie spröde und rissig. Ihre Zähne dahinter schienen fast ein wenig zu klappern.
    »Du frierst ja«, sagte Jake. Er hob ihr Sweatshirt vom Boden auf und hielt es ihr hin. Es war noch gut zwanzig Grad warm.
    »Hast du überhaupt eine Ahnung, wie schwer es ist, ein Mädchen zu sein?«, fragte Audrey, die Beine überkreuzt, zähneklappernd. Seine ausgestreckte Hand ignorierend.
    »Jaaah, ich weiß. Die Doppelmoral, meinst du?« Er nahm ihr Sweatshirt auf den Schoß. Es war weich. Er streichelte es wie ein kleines Tier.
    Audrey griff in ihre Tasche. Die war aus schwarzem Wildleder und hatte lange schwarze Fransen, auf denen schwarze Perlen aufgefädelt waren. Sie sah nach Vintage aus – was immer das heißen sollte. So als hätte sie entweder viel Geld dafür ausgegeben oder sie in einem Laden in Brooklyn aufgetrieben. Sie schlängelte ihren goldenen Arm in die Tasche und förderte ein Päckchen Marlboro zutage. Das machte sie auf und schüttelte eine Zigarette und ein Feuerzeug heraus. Sie schnippte den kleinen Hebel herunter und steckte sich eine an. Als sie tief inhalierte, schien ihr Körper wie ein Ballon, den der Rauch hochhob. Wie Helium hob er sie auf die Füße. Beim Stehen schob sich ihr T-Shirt nach oben, und er sah den kleinen goldenen Ring, mit dem ihr Nabel gepierct war, eine Sekunde lang blinken, bis sie den Rauch ausstieß und das T-Shirt sich wieder senkte. Audrey starrte zu einer Baumgruppe hinüber.
    »Du bist einfach ein Idiot«, sagte sie. »Ihr Jungs seid doch alles Idioten. Eines Tages werd ich alt und hässlich sein, und keiner wird mich mehr ficken wollen, und dann muss ich mich nicht mehr mit euch rumschlagen. Da freu ich mich schon richtig drauf«, sagte sie.
    Dann nahm sie ihm ihr Sweatshirt weg und wickelte es sich um ihre zierliche Taille, als wären die Ärmel ein schwarzes Samtband und Audrey selbst ein Päckchen, ein kostbares kleines Geschenk. Sie schwang sich die coole Tasche über die Schulter und ging los. Weg von Jake und all den anderen Idioten, weg aus dem Gefängnis ihrer Jugend und Schönheit und hinein in die schwer erkämpfte Einsamkeit ihrer Zukunft. Audrey ging von Jake weg, den Fußpfad entlang auf das steinerne Schultor zu, und es gab nichts, was er hätte tun können, um sie aufzuhalten. Und falls doch, hatte er jedenfalls keinen blassen Schimmer davon.
    Mit dem Therapeuten besprach Jake am Mittwoch aber nichts von alledem. Am Vormittag hatte er seine Prüfung in Chemie geschrieben, redete also hauptsächlich darüber, wie schwer die gewesen war und wie viel Angst er davor gehabt hatte, war am Ende aber trotzdem ziemlich zuversichtlich, merkwürdig zuversichtlich ,

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