Die Zerbrechlichkeit des Gluecks
war der Ausdruck, den er dem Therapeuten gegenüber benutzte. Er hatte das Gefühl, er hätte vielleicht eine Eins geschrieben. Sein Vater war ein Ass in Chemie gewesen, hätte Chemie sogar fast als Hauptfach gewählt, und vielleicht war Jake deshalb selbst so gut darin. In dem Sinn war er wie sein Vater, vielleicht lag es bei ihm in den Genen.
»Findest du, du bist wie dein Vater?«, fragte der Therapeut. An dem Tag trug er eine blaue Krawatte und kein Sakko. Die Krawatte war richtig blau und glänzend und erinnerte Jake an Rachels Augen, aber davon redete er ebenfalls nicht.
»Nein, nicht so sehr«, antwortete Jake.
»Nicht wie sehr?«, wollte der Therapeut wissen.
»Na ja, ich bin kein besonderer Läufer, und mein Dad ist ein super Läufer, ein Langstreckenläufer. Er ist auch, äh, also, er ist ein Genie. Er hat einen ganzen Haufen akademische Titel, und sein Vater hat bei der Post gearbeitet, und mein Dad war der Erste in seiner Familie, der den Highschoolabschluss gemacht hat, geschweige denn aufs College gegangen ist …« An dieser Stelle verstummte Jake.
»Und?«, sagte der Therapeut. »Woran denkst du, Jake?«
»Dass ich in meiner Familie vielleicht der Erste bin, der keinen Highschoolabschluss macht«, sagte Jake. Er spürte, wie sein Mund sich zu einem spöttischen Grinsen verzog. Als würde ihm ein Puppenspielermeister hinter den Kulissen mit Schnüren an den Mundwinkeln zerren.
»Aber du sagtest doch grade, du hättest in Chemie eine Eins gemacht.«
»Schon, aber ich hätte ja eigentlich von der Schule fliegen sollen«, sagte Jake.
»Hätte? Wegen dieser E-Mail?«
Jake nickte. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
»Da bin ich aber nicht unbedingt deiner Meinung«, sagte der Therapeut. »Außerdem bist du ja gar nicht von der Schule geflogen. Die Schule war also auch nicht deiner Meinung.«
»Ich bin wegen meinem Dad nicht rausgeflogen«, erwiderte Jake. »Alles wegen meinem Dad. Weil der so eine Art Superheld ist, und ich bin bloß so ein Triebtäter und ein Scheißkrüppel noch dazu.«
»Interessant«, sagte der Therapeut, und die Haut um seine Augen herum kräuselte sich, was Belustigung andeutete. Er griff nach einem Schlüsselbund auf seinem Schreibtisch, anscheinend das Signal – der Griff nach dem Schlüssel –, dass ihre Zeit um war. Was er damit wohl aufschließen wollte? Einen Käfig mit einem Gorilla drin? In einem der anderen Büros hier in der Praxis? Oder wollte er Jake damit aussperren? »Huuh«, würde der Therapeut sagen, die Tür hinter sich schön zu und verriegelt. »Der da kommt nicht wieder raus.«
Der Therapeut hatte die ganze Hand voller Schlüssel: Mit denen konnte er Jake übers ganze Gesicht kratzen, wenn ihm danach war.
»Lass uns nächste Woche darüber reden«, sagte der Therapeut.
Und das taten sie. Der Therapeut redete anscheinend gern über Jakes Vater, und Jake wollte dem Therapeuten ein Erfolgserlebnis verschaffen. Worüber sie nicht redeten, war Audrey: dass Audrey vor Jugend und Schönheit und Sex und vor Jungs wie ihm davonlief. Dass Audrey es nicht erwarten konnte, bis sie alt und hässlich und allein war. Und über Rachel redeten sie auch nicht. Darüber, dass sich Rachel an dem Freitag, nachdem McHenry ihn verflucht hatte und sie zusammen in das Wäldchen hinter der Schule gegangen waren, auf bloßen Knien zwischen Laub und Ästchen auf die Erde gekniet und seinen Pimmel in den Mund genommen hatte. Darüber, wie blau und leuchtend ihre Augen waren, als sie zu Jake hochgeschaut und ihn dabei gelutscht hatte. Oder darüber, dass er ihren Kopf mit beiden Händen gehalten und hin- und herbewegt hatte, erst sanft und dann grob, immer vor und zurück um seinen Pimmel herum, bis ihm Audrey und Rachel und alles am Ende egal waren, und es ihm bloß noch drum ging, wie er sich fühlte, und er ihren Kopf gepackt und so heftig vor- und zurückgestoßen hatte, wie es ihm passte, so heftig, dass er ihr fast im Hals wehtat oder sie womöglich erstickte – Rachel schien tatsächlich ein wenig zu würgen –, aber das war Jake egal, er scherte sich nicht drum und hörte auch nicht auf, nicht mal, als sie eine Hand hob, damit er langsamer machte, oder vielleicht sogar, um ihn zurückzustoßen. Es war, als würde er sich in Rachels Mund hinein einen runterholen, und als er hinunterschaute, waren ihre Augen halb geschlossen, und er konnte nichts mehr sehen von dem irren Blau, bloß Weiß, und dann rutschte sein Pimmel aus ihrem Mund, und sie rang nach Luft, und
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