Die Zerbrochene Kette - 6
Jacke und zog Magda ans Feuer.
Jaelle lachte verlegen. »Verzeih mir, Margali. Ich hatte bisher noch nie jemandem den Eid abgenommen, ich war nervös, hatte Angst, Wörter auszulassen…«
»Trink das, dann wirst du gleich aufhören zu zittern.« Gwennis gab Magda den Wein, den sie vorhin nicht ausgetrunken hatte. Ihre Zähne klapperten gegen den Rand des Bechers. Sie trank langsam und versuchte, sich wie der unter Kontrolle zu bekommen. Alle drängten sich um sie, umarmten sie, trösteten sie. Rayna murmelte: »Du brauchst dich nicht zu schämen, wir haben alle geweint, ich selbst noch viel mehr als du!«
Jaelle bat: »Du mußt uns verzeihen, daß wir zuvor so grob zu dir waren. Jetzt sind wir alle deine Schwestern. Von heute nacht an ist jede Amazone deine Schwester, aber die Zeuginnen deines Eides sind deine Familie und bleiben immer etwas Besonderes.« Sie sah die anderen Frauen voller Zuneigung an. »Seid ihr das nicht? Camilla hat mir das Haar geschnitten, damals vor neun Jahren.«
Gwennis sagte mit gedämpfter Stimme, als sei es ein privater Scherz: »Wie kannst du es wagen, sie zu schelten, weil sie geweint hat, Jaelle? Du hast nicht geweint, wie ich mich erinnere!«
»Ich bin auch unter euch aufgewachsen«, erwiderte Jaelle. »Nun wollen wir diese Flasche Wein zu Ehren unserer Schwester leermachen, und dann müssen wir alle schlafen. Morgen wollen wir darüber nachdenken, wie wir sie am besten ins Gildenhaus schicken, aber heute abend wollen wir feiern.«
Sie sind jetzt alle so freundlich zu mir. Das verdiene ich nicht. Mit ruhiger Stimme erkundigte Magda sich bei Gwennis: »Wohin werde ich gebracht?«
»Ins Gildenhaus von Neskaya oder vielleicht von Thendara, das unser eigenes Haus ist«, antwortete Gwennis. »Jede neuaufgenommene Amazone muß ein halbes Jahr im Gildenhaus verbringen, wo sie unsere Sitten lernt und sich die bösen Unsitten abgewöhnt, die man ihr seit ihrer Kindheit beigebracht hat – alles, was du über schickliches Benehmen für eine Frau hast lernen müssen. Deine Kindheit hat dich in Ketten gelegt; dort wird man dich lehren, dich selbst zu befreien und zu sein, was du am besten sein kannst.«
O Gott! Ich habe diesen Eid geleistet, damit ich nicht ins Gildenhaus geschickt würde, um Zeit zu gewinnen! Bin ich dann für nichts meineidig geworden?
Jede von ihnen hatte ihr etwas zu sagen. Sherna, ein molliges, hübsches Mädchen, kniete sich neben sie. »Ich bin vor zwei Jahren zu den Amazonen gekommen, nachdem mir klargeworden war, daß ich keinen Anteil an meines Vaters Besitz hatte. Alle meine Brüder hatten Anteil daran, aber ich nicht. Ich hatte vom Leben nichts weiter zu erwarten als eine Heirat mit irgendeinem Mann, der meinen Brüdern helfen konnte, das Land meines Vaters zu bearbeiten. Sie wiesen zwei Männer zurück, die ich gern hatte, weil sie mit ihnen, wie sie sagten, nicht unter einem Dach leben wollten, und sie hätten mir einen Mann aufgezwungen, der ein Freund von ihnen war. Als ich erkannte, daß ich nicht das Recht besaß, mich zu weigern, sondern gezwungen werden konnte, nach ihrem Wunsch zu heiraten, nicht nach meinem, schnitt ich mir das Haar und kam ins Gildenhaus. Weißt du, wovor ich am meisten Angst hatte?« Sie grinste so drollig, daß Magda lächeln mußte. »Ich fürchtete, man werde mir sagen, ich dürfe nie wie der mit einem Mann schlafen! Aber, dachte ich, besser das als nach dem Willen meiner Brüder heiraten müssen…«
Jaelle setzte sich neben Magda. »Es ist üblich, daß Eidesmutter und –tochter Geschenke austauschen. Ich habe kein Geschenk für dich, Margali; ich hatte das nicht vorhergesehen. Ich werde mir etwas einfallen lassen.«
Sie sind so freundlich zu mir. So überwältigend freundlich. Sie verhalten sich, als sei ich ihre lange vermißte Schwester. Der Eid bedeutet so viel…
Magda begann: »Meine Mission – ich habe dir gesagt, daß es um Leben und Tod geht…«
Jaelle unterbrach sie: »Darüber sprechen wir morgen. Es mag sein, daß du keinem Mann Loyalität schuldest, auch wenn er dein Verwandter ist. Jetzt aber müssen wir alle schlafen.«
Die Frauen tranken ihren Wein aus und schlüpften wieder in ihre Schlafsäcke. Rayna löschte die Laterne. Es war sehr still, bis auf das nachlassende, ferne Heulen des Sturms. Camilla, die neben Magda lag, streckte in der Dunkelheit die Hand aus und streichelte ihre Wange.
»Du bist nicht die erste, die den Eid vor Kälte zitternd abgelegt hat«, gestand sie. »Als ich den Eid leistete, da – ich
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