Die zerbrochene Krone
anstatt erst weniger als zwei Monate in Egwenes Dienst und dreimal anstatt nur doppelt so alt wie sie sein können. Egwene vermutete, daß sie heute abend sprach, um die Stille zu erfüllen. Seit Logain entkommen war, herrschte Anspannung im Lager. Ein Mann, der die Macht lenken konnte, der abgeschirmt war und unter strenger Bewachung stand, war wie Nebel entschwunden. Jedermann fragte sich verzweifelt, wie dies hatte geschehen können, wo er sich aufhielt und was er jetzt vorhatte. Egwene wünschte sich mehr als die meisten anderen, in Erfahrung zu bringen, wo Logain Ablar war.
Sheriam ordnete ihre Papiere energisch und sah Chesa stirnrunzelnd an. Sie verstand nicht, warum Egwene es zuließ, daß ihre Bedienstete bei diesen Treffen anwesend war, und noch weniger, daß sie Chesa frei sprechen ließ. Es fiel ihr wahrscheinlich niemals auf, daß Chesas Gegenwart und ihr unerwartetes Geplapper sie gerade ausreichend ablenkte, daß Egwene derweil einen Rat umgehen konnte, den sie nicht annehmen wollte, und Entscheidungen aufschieben konnte, die sie nicht treffen wollte, zumindest nicht auf die Art, wie Sheriam sie getroffen sehen wollte. Obwohl Chesa diese Absicht gewiß niemals verfolgt hatte. Sie lächelte entschuldigend und wandte sich wieder ihrer Flickarbeit zu, wobei sie beiläufig etwas murmelte.
»Wenn wir fortfahren, Mutter«, sagte Sheriam kühl, »werden wir vielleicht vor der Dämmerung fertig.«
Egwene betrachtete die nächste Seite und rieb sich die Schläfen. Vielleicht hatte Chesa wegen des Lichts recht. Sie bekam wieder Kopfschmerzen. Aber vielleicht lag das auch an der vor ihr liegenden Aufstellung dessen, was noch an Geld übriggeblieben war. In den Geschichten, die sie gelesen hatte, wurde niemals erwähnt, wieviel Geld nötig war, um ein Heer zu unterhalten. An das Blatt waren Notizen von zwei der Sitzenden - Romanda und Lelaine - angeheftet, die vorschlugen, daß die Soldaten weniger häufig und insgesamt geringer bezahlt werden sollten. Es war in der Tat mehr als nur ein Vorschlag, genau wie Romanda und Lelaine im Saal mehr als nur Sitzende waren. Andere Sitzende folgten ihrer Führung, wenn auch nicht um jeden Preis, während die einzige Sitzende, auf die Egwene sich verlassen konnte, Delana war, und selbst auf sie konnte sie sich nicht allzu weit verlassen. Lelaine und Romanda stimmten selten bei etwas überein, und sie hätten kaum ein schlechteres Thema wählen können. Einige der Soldaten hatten Schwüre geleistet, aber die meisten waren wegen der Bezahlung und vielleicht auch wegen der Aussicht auf Beute zum Heer gekommen.
»Die Soldaten sollen weiterhin wie bisher bezahlt werden«, murrte Egwene und zerknüllte die beiden Notizen. Sie würde ihr Heer genauso wenig dahinschwinden lassen, wie sie Plünderungen zulassen würde.
»Wie Ihr befehlt, Mutter.« Sheriams Augen sprühten vor Vergnügen Funken. Die Probleme mußten ihr klar sein - jedermann, der sie für wenig intelligent hielt, geriet in große Schwierigkeiten -, aber in einer Beziehung war sie blind. Wenn Romanda oder Lelaine sagten, die Sonne gehe auf, behauptete Sheriam höchstwahrscheinlich, sie gehe unter. Sie hatte früher fast genauso viel - vielleicht sogar mehr - Einfluß auf den Saal gehabt wie sie heute, bis sie dem untereinander ein Ende setzten. Aber das Gegenteil entsprach ebenso der Wahrheit. Die beiden gingen gegen alles an, was Sheriam wollte, bevor sie nachdachten. Was alles in allem recht nützlich war.
Egwene tippte mit den Fingern auf die Tischplatte, hielt aber dann inne. Das Geld mußte aufgetrieben werden - irgendwo, irgendwie -, aber sie durfte Sheriam ihre Sorge nicht merken lassen.
»Diese neue Frau wird es schaffen«, murmelte Chesa über ihrer Stopfarbeit. »Tairener tragen ihre Nasen natürlich immer hoch erhoben, aber Selame weiß, was sich für die Bedienstete einer Lady gehört. Meri und ich werden sie nur zu bald eingewöhnen.« Sheriam rollte verärgert die Augen.
Egwene lächelte in sich hinein. Egwene al'Vere mit drei Bediensteten, die sich um sie kümmerten - das war genauso unglaublich wie die Stola selbst. Aber das Lächeln verweilte nur einen Herzschlag lang. Auch Bedienstete mußten bezahlt werden. Eine geringe Summe, wenn man sie gegen dreißigtausend Soldaten aufwog, und die Amyrlin konnte wohl kaum ihre Wäsche selbst waschen oder ihre Gewänder flicken, aber sie wäre ausgezeichnet mit Chesa allein zurechtgekommen. Das hätte sie auch getan, wenn sie die Wahl gehabt hätte. Aber
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