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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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Täter ausfindig zu machen, damit er dich zu deiner Frau bringt! Vergiss das bloß nicht!“ Sagte es die Puppe oder mein Verstand, der der eifersüchtigen Lust trotzte? Ich sah prüfend in Ynges Gesicht, sie befand sich in meiner Manteltasche, und hing mitsamt des Mantels wiederum über der Lehne meines Stuhls.
    „Diese Puppe“, sagte Madame. „Zeigen Sie doch einmal!“
    „Auf keinen Fall. Sie ist sehr zerbrechlich, Sie sehen ja, das sie schon beträchtlich gelitten hat in der letzten Zeit.“
    „Haben Sie sie immer dabei?“
    „Ja“, kicherte Lotte. „Er spricht auch mit ihr.“
    „Ah. Jeder Mann braucht eine kleine Perversion, nicht wahr?“, grollte Madame mit ihrer rauchigen Stimme, und ich schüttelte, unter den Blicken der Frühstückenden, hastig den Kopf. „Aber nein! Sie ist … mir ein unschätzbares Erinnerungsstück!“
    Die Huren lachten, sogar die Chinesinnen lachten und der feine Herr verzog süffisant das Gesicht. „Wir brauchen uns vor Madame nicht zu genieren, mein Freund. Sie kennt all unsere Abgründe. Sie hat in jeden einzelnen schon einmal … hineingeblickt, und nichts hat sie erbleichen lassen. Nicht wahr, meine Liebe?“
    „Du schmeichelst mir, Piotr.“
    „Morgen Abend gebe ich eine kleine private Feier bei Madame. Nur Männer und ihre Abgründe. Kommen Sie doch auch – die Puppe dürfen Sie mitbringen.“

Eine Opium-Orgie

    Körperflüssigkeiten auf Leinwand
    A uf keinen Fall werde ich auf solch eine Feier gehen. Männer und ihre Abgründe – was für eine ekelhafte Person.“
    Ich würde mir nicht ansehen, wie Lotte solche … Dinge bei anderen Männern tat.
    „Dieser Pole scheint reich zu sein“, gab Ynge zu bedenken.
    „Er scheint vor allen Dingen süchtig nach Opium zu sein“, erwiderte ich. Ich hatte in Windeseile ein Bild vom Friedhof gemalt – statt sich in Leichentüchern oder Särgen zu verstecken, blickten die Toten anklagend aus dem beinahe glasklaren Eis heraus, während die Lebenden über ihren Köpfen auf der spiegelglatten Fläche standen und beteten. Ich war den ganzen Tag damit zugange gewesen, mit dem Ziel, es danach zur Kunsthändlerin zu bringen und es erneut für einige Mark zu verpfänden, doch jetzt fand ich es zu schön. Mir war eine bemerkenswerte Symbolik gelungen.
    Ich zählte die Münzen in meinen Taschen und beschloss, dass der Verkauf des Bildes noch warten konnte. Ich durchwühlte den Stapel der Zeichenblätter nach anderen Dingen, die sich verwerten lassen würden, doch es waren nur Skizzen – Skizzen von Æmelies Gesicht, wieder und wieder und wieder. Es war mir nicht bewusst gewesen, dass ich sie so oft zu zeichnen versucht hatte in den vergangenen Tagen und Wochen.
    „Ich könnte sie glatt als Steckbrief aushängen. Vielleicht hat sie jemand gesehen.“ Ich lachte traurig. „Ynge, meine Liebe.“ Ich streichelte ihr Haar und zog kurz darauf einen Kamm, um uns zu kämmen. „Diese Zeichnungen von den Flügeln. Sie sind nicht darunter, obwohl wir sie mit nach Venedig genommen haben. Man hat sie geraubt, mit Æmelies Leiche. Ich frage mich ja …“ Ich hielt inne und kratzte mich mit dem Kamm am Ohr, bevor ich fortfuhr, ihre Locken zu kämmen. „Ich frage mich, ob das die Shellys getan haben – ihren Körper geraubt und all ihre Sachen. Weil, wenn ja, dann ist es kaum zu glauben, dass sie solch komplexe Handlungen verrichten können. Dann brauchen sie doch Æmelies Erlenhofenzelle gar nicht mehr, oder? Oder war wieder dieser Mann dabei, der auch am Hafen war? Können die Shellys auf ihn hören? Sogar durch den Æther, das hat er gesagt. Und habe ich ihn auf dem Kongress bereits gesehen? Hat er mich angesehen und gelächelt und gewusst, dass er meine Æmelie noch in der Nacht töten würde?“
    Ich seufzte und rieb mir die Augen. Manchmal konnte ich einfach nicht glauben, dass all das wirklich geschehen war.
    Erneut wandte ich mich der Zeichnung zu, die ich mit hauchdünnen bläulichen Wasserfarben aquarelliert hatte. Der Friedhof von Æsta. Vielleicht würde man mir auf dem Festland große Beträge dafür bieten. Aber hier, hier war ja jeder schon mal auf diesem Friedhof gewesen – niemand würde das Außergewöhnliche zu schätzen wissen.
    „Vielleicht sollte ich mich doch an diesen Polen wenden. Er scheint mir ein kluger Kopf zu sein, vielleicht kann er etwas für mich herausschlagen.“
    „Also gehst du auf die Feier?“
    „Auf keinen Fall. Erstmal muss ich ohnehin zum Schuster.“

    „Hübsche Schuhe, kleiner Mann“,

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