Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
bezahlt, mir Bericht über alle verdächtigen Begebenheiten im Stiftsturm zu erstatten. Ich habe den Professor schon länger im Verdacht, unlautere Experimente zu betreiben. Seine perverse Faszination für gewisse Dinge verschleiert er nur wenig.“
„Ich verdanke Ihnen mein Leben“, murmelte ich. Sie streckte eine Hand nach mir aus und legte mir einen kühlen Finger unter das Kinn.
„Naðan. Herr … von Erlenhofen. Sie haben Tomke fliehen lassen, nicht wahr? Ich würde sagen, wir sind quitt.“
„Wer … wer ist Tomke?“
Sie lächelte nur geheimnisvoll, mit einem Blick, der wie von einem Schlüssel verschlossen war.
Mit einem kleinen Seufzer lehnte sie sich vor, um auf dem Tischchen nach der Teekanne zu greifen und mir aus dieser einzuschenken. Sie selbst nahm sich ebenfalls eine Tasse aus teurem verziertem Porzellan, die noch umgedreht auf einem Silbertablett ausgeharrt hatte.
„Mögen Sie Zucker?“, fragte sie, während sie sicherlich vier Löffelchen in ihren Tee rieseln ließ.
Ich dachte über die Frage nach.
„Im Tee? Oder allgemein?“
„Herr von Erlenhofen, holen Sie Ihren Geist einmal zurück! Natürlich in den Tee – würde ich ein Gespräch mit Ihnen darüber führen wollen, ob Sie Mehl mögen oder Salz?“
„Vermutlich nicht.“ Frauen, das wusste ich bereits, wollten manchmal über die seltsamsten Dinge sprechen. Hauptsache, es kehrte keine Stille ein.
„Wenn ich Sie in dieser Nacht auf ein Schiff verfrachten lasse – und damit meine ich ein richtiges Schiff, eines, das auf dem Meer schwimmt, werden Sie das dann mit sich machen lassen? Werden Sie sich bemühen, mir die Rettung Ihres Lebens nicht zu schwer zu machen?“
Ich hob die Teetasse zum Mund und trank den die Lebensgeister weckenden Darjeeling.
„Warum sollte ich Ihnen meine Rettung schwermachen?“
Sie räusperte sich und nahm ebenfalls einen Schluck. „Nun … Sie sind … Sie haben gewisse Besonderheiten. Dass die Leiche Ihrer Frau allem Anschein nach in des Professors Gewahrsam ist, macht es nicht besser.“
„Sie glauben, dass ich wie ein Wahnsinniger schreien werde, wenn Sie mich in eine Kutsche setzen?“, kicherte ich.
„Ich bin mir einfach nicht sicher, was Sie angeht. Sie sind anders als die meisten anderen Menschen.“
Ich sah in meine Teetasse. Das Porzellan und die spärliche Beleuchtung einer Gaslampe ließen den Tee grün-bräunlich schimmern. War ich wirklich anders als andere Menschen? Würde nicht jeder einer Puppe antworten, die mit der Stimme seiner Frau spricht?
„Was ist mit Domek von Pommern? Können wir ihm trauen?“
„Das weiß ich beim besten Willen nicht“, erwiderte ich traurig. „Ich weiß manchmal nicht, ob man mir selbst trauen kann.“
„Das meinte ich mit anders“, seufzte sie, erhob sich mit graziös gehaltener Teetasse und setzte sich auf meinen Schoß. Sie wirkte so kühl und distanziert dabei, dass ich zu dem Schluss kam, dass ich mir ihre ungebührliche Annäherung nur einbildete. Ich lächelte und trank meinen Tee weiter. Sie tat es mir gleich, ihre Kleidung raschelte.
„Wie alt sind Sie, Naðan?“
„Sechsundzwanzig. Vermutlich.“ Ich war mir nicht einmal mehr sicher, welche Jahreszeit gerade herrschte.
„Ich bin zweiundvierzig“, informierte sie mich, und nun vermutete ich, dass sie tatsächlich auf meinem Schoß saß. Siedend heiß stieg in mein Bewusstsein, dass ich nur Unterwäsche und einen Morgenmantel trug, und sicherlich hatte ihr das den Kopf verdreht. Ich hätte mich in Anwesenheit einer Gräfin gebührlicher kleiden sollen.
„Heute Nacht, ich denke, gegen halb zwei, werden wir Sie zum Hafen hinunterschaffen. Sie werden sich im Maschinenraum eines Schaufelraddampfers verbergen, der morgen zur norwegischen Küste aufbrechen wird.“
„Gehe ich von dort aus … dann zu Fuß weiter?“, fragte ich mit flauem Gefühl im Magen. „Liegt nicht ein Eispanzer über dem ganzen Land?“
„Von dort wird es eine Möglichkeit geben. Aber dort sind Sie erst einmal außerhalb der Sichtweite des Professors, und das kann nur gut sein. Er wird dieses Haus auf den Kopf stellen – er wird ganz Æsta auf den Kopf stellen. Aber nicht Norwegen.“
„Darf ich mir die Frage erlauben … warum sitzen Sie auf meinem Schoß?“
„Wollen wir uns lediglich mit deprimierenden Plaudereien die Zeit bis in die tiefen Nachtstunden vertreiben? Ich bin es gewohnt zu erhalten, was ich begehre, und ich hoffe, Sie machen da keine Ausnahme.“
„Ich … ich weiß nicht“,
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