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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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Jolle durch Nebel und Dunst hinüber zur Hafenbucht. Geldbeträge hatten den Besitzer gewechselt, bis ich im Maschinenraum untergekommen war. Das Schiff gehörte der Firma Voith und sollte Ausrüstung aufs Festland bringen, sowie Erz und Gas zurück nach Æsta. Mich würde es nicht mehr mit zurücknehmen, ich würde auf irgendeine andere Weise wiederkehren – vorzugsweise als Erzengel Michæl, mit Æmelies Flügeln fliegend und mit einem Flammenschwert bewaffnet.
    Als die Stadt in den wirbelnden Schwaden verschwand, als selbst das Licht auf der Parabolantenne des Ætherlots auf dem Dach des Stifts verblasste und verging, kroch ich zurück in den wummernden Maschinenraum und nahm das wissende Nicken des Maschinisten zur Kenntnis.
    Die Fahrt dauerte nicht lange – in den fahlen, zögerlichen Morgenstunden legte der Dampfer sehr rasch am provisorischen Verladehafen des Festlandes an. Über die Steilküsten ragte das Eis, mancherorts bläulich gepresst von der Last der darauf ruhenden Massen. An einer Stelle, oberhalb eines dampfbetriebenen Lastenaufzuges, war das Eis in einer tiefen Schneise geschmolzen, die ins Land hineinreichte, zu den Vorkommen der Dinge, auf die es Æsta abgesehen hatte.
    Nachdem die meisten Arbeiter und Matrosen das Schiff verlassen hatten, bemühte ich mich, ihm möglichst unbeteiligt ebenfalls den Rücken zu kehren – als wäre nichts Sonderbares daran, dass ein offensichtlich gebildeter und durch lediglich ungebührliche Umstände an Deck dieses Schiffes gelangter Herr an Land spazierte. An ein unwirtliches, lebensfeindliches Land.
    Mein Herz sank, als ich an den schwankenden Holzkais ankam. Wohin sollte ich mich nun wenden? Was hatte Elsbeð für mich vorgesehen? Oder hatte ihre Freundlichkeit lediglich bis hierher gelangt, und nun war ich wieder auf mich allein gestellt?
    Ich seufzte und blickte kritisch zum Lastenaufzug hinüber. Würde ich nun nach Aquis zurückkehren? Würde ich um eine Audienz am Kaiserhaus in Frankfurt bitten und dort die schrecklichen Anmaßungen des Professors schildern?
    Dann würde ich um meine Rache gebracht. Sie würden ihn inhaftieren lassen oder mir einfach keinen Glauben schenken.
    Ein schlimmerer Gedanke als dieser durchfuhr mich plötzlich. Was, wenn auch dem Kaiser an einer Lösung der sozialen Frage gelegen war? Wenn auch er das rote Pack gerne von lebenden Leichnamen kontrolliert sähe? Die Arbeiter selbst schlussendlich nach Beenden ihres Lebens verwertet und zu einem Dasein als Shelly verdammt, bis sie auseinanderfielen?
    Und konnte ich ahnen, wer bereits ebenfalls Shellys herstellte, sie mit Æmelies kostbaren Zellen versorgte? Vielleicht jener Wissenschaftler in London, der auf einem vergangenen naturwissenschaftlichen Kongress bereits ein solches Wesen vorgestellt hatte?
    Ich stellte fest, dass ich in einem echten Dilemma saß, aber so oder so konnte ich nicht mit nichts dabei als der Kleidung, die ich trug, und einer sprechenden Puppe Norwegen durchqueren. Ganz davon abgesehen, dass niemand Norwegen durchquerte, egal mit welcher Ausrüstung.
    „Haben Sie ein Problem, mein Herr?“, sprach mich jemand an, und es war der grinsende Maschinist. Ich schüttelte hastig den Kopf – seine Zähne waren sehr weiß im rußverschmierten Gesicht. Er streckte seine Hand aus, jedoch nicht, um mir eine Hilfestellung anzubieten, sondern um etwas einzufordern, was ich nicht hatte.
    „Ich kann Ihnen nicht noch mehr Geld geben. Ich bin sicher, die Gräfin hat Sie entlohnt. Und im Übrigen benötige ich keinen Ihrer Dienste mehr.“
    Er grinste noch breiter.
    „Ich hab gar kein Geld gekriegt, mein Junge. Das hat alles der Kapitän eingestrichen. Hätte dich jederzeit verpfeifen können. Kann’s auch jetzt noch.“ Er spuckte hinunter in die Fluten. Ich wurde nervös, eine Welle schwappte über den Steg und durchnässte meine Stiefel, die jedoch – frisch geflickt – standhielten. Der dreiste Mann sah mich unverwandt an, und ich fluchte innerlich, behielt aber meine Contenance.
    „Sieh dich um! Wo willst du von hier aus hin? Hier sind nur Schiffe, die Æsta ansteuern.“
    „Dort oben“, stellte ich triumphierend fest, „ist ein Ankermast. Ich gedenke nicht, die Reise auf dem trügerischen Meer fortzusetzen.“
    „Dann beeil dich lieber, denn siehst du das da?“
    Grinsend zeigte er aufs Meer hinauf, und welchem Instinkt oder scharfem Gesichtssinn er es auch zu verdanken hatte, er behielt recht: Ein schlankes, kleines Luftschiff schälte sich aus dem Nebel,

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